Weiss Kreuz Fan Fiction ❯ Colours ❯ Kirschrot ( Chapter 1 )

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Colours 1: Kirschrot

Autor: SOrion (sorion@gmx.ch)
Serie: Weiss Kreuz
Warnung: lime, shônen ai
Disclamer: WK gehört mir nicht, etc. p.p... Ich verdiene kein Geld damit, rhabarberrhabarber... Ich
leihe mir die Jungs nur aus und gebe sie unbeschadet zurück (okay, vielleicht ein Bisschen demoliert
*fg*) usw. blabla...
Bemerkung: Die Geschichte hat irgendwie selbst beschlossen, sich aus Youjis Sicht zu schreiben...
^-^' Ich konnte da gar nichts machen...
Während dem Schreiben habe ich entschieden eine mehrteilige Serie daraus zu machen. [Der nächs-
te Teil wird dann aus Omis Sicht sein (ab besagtem November... lemon ahead ^-^) und heisst "See-
grün"]


***
Youji beobachtete Omi, der in seiner eigenen Gedankenwelt versunken an einem Blumengesteck
arbeitete. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass eine Bombe hätte einschlagen können, und er hätte es
nicht bemerkt.
Der Kranz, an dem er arbeitete, nahm mehr und mehr Form an. Er schien nicht wirklich mit vollem
Bewusstsein daran flechten zu müssen, um es fertig zu bekommen. Noch eine Blume wurde hineinge-
flochten... noch eine... ein herausragender Stil abgeschnitten... eine Blume...
Ein verträumtes Lächeln schlich sich auf Omis Lippen. Er seufzte leise.
Youji versuchte, ihn schliesslich anzusprechen... Er reagierte nicht.
Etwas begann jetzt Omis Gedanken zu stören. Da war doch... etwas... Er blinzelte zweimal und sah
auf.
"---MI ! ! !"
Omi erkannte die Bruchstücke als sein Name. "Was ist?"
"Sag mal, weilst du überhaupt noch unter uns?", fragte Youji, der sich vor ihrem jüngsten Teammit-
glied aufgebaut und die Hände auf die Hüften gestützt hatte.
Omi zuckte die Schultern. "Ich weiss nicht, was du willst. Ich wollte nur noch das Gesteck fertig ma-
chen."
Youji seufzte melodramatisch und wedelte mit einem Zettel vor Omis Augen herum. "Lieferauftrag. Du
bist dran", meinte er knapp und legte die Notiz auf die Arbeitsfläche. "Ich mach das hier fertig."
Omi griff gleichgültig nach dem Papier, stand auf, nahm die Schachtel, die er liefern sollte und ver-
schwand ohne ein weiteres Wort.
Youji blickte ihm wie vom Laster überfahren hinterher.
Ken hatte aufgehört zu wischen und machte es ihm gleich.
Sogar Aya sah kurz von seiner Aufgabe auf, machte aber gleich weiter.
Youji schüttelte den Kopf. "Was ist mit dem los?" Es war deutlich zu hören, dass er diese Frage nicht
zum ersten Mal stellte. Er drehte sich zu Ken um. "Kenken, wie lange benimmt er sich jetzt schon so?"
Die Antwort kam prompt: "Seit November, zwei Wochen nachdem er angefangen hat, mit einem ge-
fälschten Ausweis in Clubs zu gehen."
November... dreieinhalb Monate. Im Moment standen sie kurz vor Valentinstag, weswegen heute auch
alle vier Jungs im Laden waren.
Youji rief sich den besagten letzten November in Erinnerung. Ja, da musste etwas passiert sein. Omi
ging immer häufiger weg, kam auch oft über Nacht gar nicht nach Hause. Was ihnen eine Zeit lang
dazu noch Sorgen bereitet hatte, war die Tatsache, dass Omi oft einfach auf einen entfernten nur ihm
bekannten Punkt starrte und in solchen Momenten kaum noch ansprechbar war - so wie gerade eben.
Youji hatte erst noch befürchtet, der junge Mann hätte Probleme mit Drogen. Auf diese Äusserung hin
hatte Omi nur leicht gelacht und sich bereit erklärt, sein Blut untersuchen zu lassen, damit sich seine
Freunde nicht weiter Sorgen machen müssten. In seinem Blut wurde nichts gefunden... Zumindest
diese Sorge war also unbegründet.
Der junge Auftragskiller änderte aber auch sein Erscheinungsbild. Er schien mit Youji zu wetteifern,
wer von ihnen mehr Haut zeigen konnte, ohne sich zu erkälten... Seine fröhliche Art hatte sich auch
verändert. Zwar war er immer noch meistens gut gelaunt mit einem freundlichen Lächeln auf den Lip-
pen, aber die Art seine Teamkollegen zu necken und das oftmals mit nicht ganz jugendfreiem Inhalt,
deutete ebenfalls auf eine Ähnlichkeit zu Youji hin.
Aber das alles waren Dinge, die die drei übrigen Weiss-Mitglieder längst erörtert hatten, und trotzdem
nicht schlauer daraus wurden.
"Hmpf", machte Youji. "Die Jugend... Ich frage mich, wo er das her hat."
Aya hob eine elegante Augenbraue. "Ja, Kudou, wo wird er das wohl her haben."
"Halt die Klappe, Aya!" Youji grinste. Er kam nicht umhin, vom Verhalten des Jungen beeindruckt zu
sein. Dann warf er theatralisch den Kopf in den Nacken und hielt sich den Arm vor die Augen, ehe er
übertrieben schluchzte: "Hach! Unser Omittchi wird erwachsen! Ich bin ja so stolz!"
Aya warf Youji einen tödlichen Blick zu, und Ken lachte.
Dann galt es für Youji wieder sein Playboylächeln aufzusetzen, für Ken ein freundliches 'irasshaima-
se!' zu rufen und für Aya seinen Killerblick abzuschalten, als Kundschaft in Form einer Horde junger,
weiblicher Teenager den Laden betrat.
Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon. Youji hob ab. "Kätzchen im Haus, guten Tag. Was
kann ich für Sie tun? - Hey, Sexy, was gibt's? Ist etwas mit der Lieferung? - Aha..." Er sah auf die Uhr.
"Nein, ich denke, das geht klar. Moment..." Er deckte die Muschel mit seiner Hand ab. "He, Aya. Omi
will ein paar Freunden mit einem Computer helfen. Er kommt erst morgen wieder."
Aya nickte nur als Antwort. Omi hätte ohnehin gleich Feierabend gehabt.
Youji nahm die Hand wieder vom Hörer. "Geht klar, Kleiner. - Behalt den Pager in Reichweite. - Jaja...
Bis morgen." Er legte auf.
Ohne von seiner Arbeit aufzusehen murmelte Aya: "Er bleibt also über Nacht bei Freunden..."
Ken war auch aufgefallen, dass Omi in letzter Zeit oft diese Erklärung benutzte, um nicht nach Hause
zu kommen. Aber was für Freunde waren das? Bisher hatten sie hier nie einen von ihnen gesehen.
Youji grinste nur breit. "Oder... der Kleine hat eine Freundin..." Er lachte vor sich hin. "Wurde aber
auch langsam Zeit."
Ken wurde rot. "Youji!"
"Was denn?", verteidigte sich Youji. "Er wird in zwei Wochen achtzehn!"
"Das spielt doch keine Rolle! Er hätte es uns doch gesagt!"
"Du meinst, er hätte es dir gesagt..."
"Ich hör ihm ja auch zu, wenn er ein Problem hat, im Gegensatz zu dir!"
"Ich hör ihm auch zu! Glaubst du, er hat noch nie mit mir geredet?!"
Die beiden zeterten noch ein Bisschen weiter und Aya hörte zu. Zwischendurch schlich sich ein sanf-
tes, unauffälliges Lächeln über sein Gesicht. Er fühlte sich geradezu wohl in dieser kleinen, unge-
wöhnlichen Familie...
Ken schimpfte immer noch: "Er hat doch gar keinen Grund, eine Freundin zu verheimlichen!"
"Vielleicht hat er ja noch eine zweite Schwester gefunden, an die er sich ranschmeissen konnte..."
"Youji! Das ist nicht witzig!"
Youji wehrte gleich ab. "Weiss ich doch. Es war ja nicht ernst gemeint. Ausserdem würde ich mich
freuen, wenn er jemanden hätte."
"Ich doch auch", stimmte Ken kleinlaut zu.
Youji grinste wieder und stupste Ken in die Rippen. "Vielleicht hat er aber auch gar keine Freund-IN...
ne?"
Wie auf Kommando wurde Ken wieder rot. "Youji!"
Youji lachte nur und machte sich zurück an die Arbeit. Es gab keinen Grund Ken noch weiter zu är-
gern... Später war dazu noch genug Zeit. Im Moment beschäftigte ihn eher der Gedanke, ob er nicht
vielleicht ein Bisschen recherchieren sollte... Als ehemaliger Privatdetektiv sollte er schliesslich keine
Probleme haben, herauszufinden, wo Klein-Omittchi sich so herum trieb.

Am nächsten Morgen gegen zehn schaute Ken ständig auf die Uhr. "Ob Omi bald wieder kommt?
Hätte er sich nicht mal melden sollen?"
Youji zuckte die Schultern. "Er muss heute nicht im Laden sein und hat erst spät Schule. Er ist also
am Abend wieder hier."
"Eben... Er meldet sich doch sonst immer. Ist sicherer so."
"Piepe ihn an", gab Aya dazu. "Ich muss wissen, ob er nach der Schule noch Nachhilfe gibt."
Ken nickte. Gut, dann wüssten sie wenigstens, ob alles in Ordnung war... Hm, verhielt er sich para-
noid? Nein, es ist ja nicht paranoid zu denken, dass einen jemand umbringen will, wenn es tatsächlich
so ist, nicht wahr...?
Er schickte die Nachricht auf Omis Pager.
Es dauerte keine Minute, bis das Telefon klingelte.
Ken hob ab. "Kätzchen im Haus, guten Tag."
"Ken-kun. Was ist denn passiert?"
"Omi, alles klar bei dir?" Ken runzelte die Stirn.
"Klar, ich hab nur..." Er gähnte. "Wir waren nur fast die ganze Nacht wach und ich hab noch geschla-
fen."
"Oh, sorry. Wollte dich nicht wecken." Ken hob eine Augenbraue, als er noch eine weitere Person bei
Omi etwas nuscheln hörte.
Omi kicherte. "Kein Problem, Ken-kun. Was war denn jetzt?"
"Ähm... Aya wollte wissen, ob du heute Nachhilfe gibst."
"Nein, heute nicht. Braucht ihr mich im La... den?" Omi seufzte laut und ausgedehnt und seine Stimme
schwankte etwas.
"Omi?"
"Alles klar", hastete der junge Mann. Im Hintergrund war diesmal eine Art "umfg" zu hören.
Ken schüttelte den Kopf. "Ja, wäre ganz gut. Du weisst ja, nächste Woche ist Valentinstag."
"Wie könnte ich das vergessen", meinte Omi sarkastisch. Valentinstag... Das Armageddon für Blu-
menverkäufer.
Ken lachte. "Okay, dann sehen wir uns am Nachmittag. Bye." Er schaltete das Telefon aus.
"Er war nicht allein", stellte Youji fest.
Ken starrte auf den Hörer. "Nein, er sagte doch, er sei bei Freunden." Aber die Geräusche im Hinter-
grund...
Youji grinste. "Wie viele Freunde hast du denn gehört?"
Ken führte seine Gedanken fort. Er hatte nur eine Person gehört. Aber das bedeutete doch nichts,
oder? Er ging nicht weiter auf Youjis Kommentar ein und räumte weiter Topfpflanzen ein.


***
Der 15. Februar. Endlich! Die ganze Sintflut von Aufträgen vorbei! ... Und ein Riesenchaos im Laden.
Die vier waren beinahe fertig mit aufräumen, und es war schon Mittag vorbei. Danach würden sie das
Geschäft für heute schliessen, um sich noch ausruhen zu können. Sie waren einstimmig der Ansicht,
dass sie sich den halben freien Tag verdient hatten, nach so einem 'Feiertag'. Ausserdem hatten sie in
der kommenden Nacht noch eine Mission anliegen.
Omi kam aus dem Gewächshaus, in dem er ein paar Pflanzen verstaut hatte.
"Aya..."
Der rothaarige Mann sah vom Flur auf, den er gerade wischte.
Omi druckste einen Moment lang. "Kann ich ein Bisschen früher gehen? Ich wollte noch jemanden
treffen.... Und wir sind ja schon fast fertig..."
Aya nickte. "Meinetwegen. Sei aber zur Zeit heute Abend zurück, und versuch, dich wenigstens ein
Bisschen auszuruhen."
Youji blinzelte über der Giesskanne zu Omi. "Mit wem triffst du dich denn? Mit derjenigen, die dir ges-
tern das Geschenk geschickt hat?"
Omi verdrehte die Augen. "Zum allerletzten Mal, Youji, ich habe keine Freundin!"
Youji lachte vor sich hin.
Omi schaute noch mal zu Aya mit einem Blick drauf, der deutlich sagte 'kann ich jetzt gehen?'.
Dies entlockte dem kühlen Anführer tatsächlich ein schwaches Lächeln. "Geh schon."
Enthusiastisch riss sich Omi die Arbeitsschürze vom Körper und rannte durch den Hintereingang nach
draussen.
Youji folgte ihm mit den Augen und räusperte sich. "Ich... äh... muss noch schnell was besorgen. Bin
gleich wieder da."
Ken protestierte. "Du kannst doch jetzt nicht auch noch abhauen!"
"Ich sagte doch, dass ich gleich wieder da bin!"
Aya grinste. "Du kannst uns ja nachher sagen, wo er hingegangen ist."
Youji guckte beleidigt aus der Wäsche. Früher hatte man ihn noch nicht so leicht durchschaut! Er
schnappte sich die Schlüssel und verschwand ebenfalls hinten hinaus. Die Türe knallte zu.
Ken lachte laut. "Das war unbezahlbar!"
"Er hat Glück, wenn Omi ihn nicht schon nach zwei Minuten entdeckt."
Youji für seinen Teil blieb noch hinter der Türe stehen und hörte die letzten Sätze der beiden. 'Wir
werden ja sehen, wer hier wen entdeckt.', dachte er. Er schätzte seine Chancen als ziemlich gut ein.
Immerhin war Omi ja auch in letzter Zeit mehr als abgelenkt...
Der jüngere Killer ging zu Fuss, Youji hatte also keine Mühe, ihm zu folgen. Wie er erwartet hatte,
bemerkte Omi ihn nicht, schien bereits wieder zu träumen.
Youji grinste. 'Also, wenn der keine Freundin hat...'
Er folgte ihm etwa zwanzig Minuten lang, dann bog Omi in eine belebte Strasse ein.
Youji behielt ihn mühelos im Auge, bis...
Youji hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass ihn jemand beobachtete... Er ging Omi noch ein
paar Schritte nach, aber das Gefühl blieb. Es musste jemand hinter ihm sein!
Dann konnte er nicht mehr anders, als sich umzudrehen... Da war niemand. Zumindest niemand, den
er sehen konnte. Mist! Er war sich so sicher gewesen! Abwarten... Vielleicht machte sein Verfolger
noch einen Fehler.
Er wandte sich wieder an Omi... und der war verschwunden.
Youji drehte sich nach allen Seiten, in die Omi hätte gehen können. Weg. Er rannte ein Stück in Omis
Richtung und äugte in alle Seitenstrassen... Nichts.
wütend blieb Youji stehen. "Scheisse!", fluchte er vor sich hin. Aber es hatte keinen Zweck, er hatte
Omi verloren. Dabei hätte er so gerne seine Freundin gesehen!
Er schüttelte irritiert den Kopf. 'Warum hab ich mich bloss umgedreht?'

Omi spazierte gut gelaunt zu dem vereinbarten Treffpunkt. Er nahm eine Abkürzung, um schneller dort
zu sein. Eine kleine Seitenstrasse, noch eine... geradeaus... Er lächelte. Nur noch um die Ecke zu
dem Café...
Eine starke Hand hielt ihn am Arm fest und er zuckte zusammen.
"Jemand ist dir nach gegangen, Kätzchen."

Youji kehrte mit einer Alibi-Packung Zigaretten in den Blumenladen zurück, als Ken gerade schliessen
wollte. Er duckte sich noch schnell unter dem Rollo durch. "Sorry, hat länger gedauert."
Ken grinste breit. "Also, hast du jetzt diese ominöse Freundin gesehen?"
Youji hob die Zigaretten hoch und wollte mit seiner bereitgelegten Ausrede anfangen, er habe sich nur
Zigaretten besorgt.
Ken lachte laut. "Du hast ihn verloren, stimmt's?"
Youji stampfte frustriert an dem anderen Mann vorbei. Er hatte ja Recht... Wie konnte ihm das nur
passieren? Verdammt! Er war früher Privatdetektiv gewesen, ein verflucht guter noch dazu! Er war ein
ausgebildeter Scheiss-Profikiller und konnte keinen liebeskranken Teenager verfolgen! "Halt einfach
die Klappe, Hidaka!", murmelte er vor sich hin und machte sich auf den Weg in die Wohnung. Er
brauchte jetzt etwas zu essen und ein Bier! Unterwegs nach oben hörte man ihn noch fluchen... "Ver-
dammter Mist, verdammter! So eine Scheisse! Ich könnte..."
Erster Halt: Küche. Zweiter Halt: Kühlschrank. Er bastelte sich ein riesiges Sandwich und schnappte
sich eine Dose Bier. Damit machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer und pflanzte sich vor den
Fernseher.
Lange zappte er durch die Kanäle und blieb vor Langeweile schliesslich bei einem Musiksender hän-
gen. Immer noch schlecht gelaunt kaute er auf dem dicht belegten Brot herum.
Aya betrat den Raum und schüttelte den Kopf. "Manchmal frage ich mich, was in deinem Kopf vor-
geht, Kudou..."
Youji drehte seinen Kopf nicht. 'Ja, das frage ich mich manchmal auch... Vor allem, als ich...' Er hielt
seine Gedanken inne. '... als ich mich umgedreht habe, obwohl ich Omi folgen wollte...' Youji blinzelte.
Man lässt niemanden aus den Augen, den man beschatten soll! Verdammt noch mal! Diese Regel
hatte er sich bestimmt tausendmal immer wieder eingebläut! Warum hatte er sie gerade heute ausser
Acht gelassen? Sowas konnte ihm nicht passieren, er war zu professionell in seinem Job... Es sei
denn...
Er schoss hoch, ignorierte Ayas sezierenden Blick und liess seinen Imbiss einfach liegen. Er machte
sich auf zu seinem Zimmer, nur um noch weiter bis zu Omis zu gehen. Das Schloss hatte er schnell
geknackt.
Einen Moment lang fühlte er sich noch unwohl dabei, das Zimmer eines Freundes zu durchsuchen,
aber es war schliesslich zu dessen Bestem...
Er brauchte auch nicht lange. Was er suchte, war in der Schublade vom Nachttischchen.
Das kleine Päckchen, das Omi gestern bekommen hatte, zusammen mit einem Brief.
Youji holte einmal tief Luft und griff nach der Karte...
Mist! Latinumschrift! Na gut, dann eben etwas mehr Konzentration. Der Text war Englisch und somit
wenigstens noch ansatzweise zu verstehen.
Oh Mann! Da konnte jemand schmeicheln!
"... I cannot resist to watch your lips become cherry-red, when we kiss... ... I long to hear the sweet
sound you make when my body claims yours... ... to feel your emotions wash over me..."
Youji war gegen seinen Willen beeindruckt und machte sich eine geistige Notiz, ein Bisschen was
davon im Kopf zu behalten... Man weiss ja nie...
Aber dann stutzte er. Da war ein Wort... und das klang so gar nicht Englisch. Japanisch war es erst
recht nicht, auch nicht in lateinischen Buchstaben... "Nesthäkchen"??? [An der Stelle: Youji spricht
natürlich kein Deutsch, weswegen er das auch nicht versteht. Stellt euch einfach vor, der Rest der
Geschichte wäre in Japanisch...]
Youji starrte benommen darauf. "... whenever your friends dare to let go of their Nesthäkchen..." Die
Sprache kam ihm verdächtig bekannt vor... Insbesondere dieser Umlaut... Ungläubig schüttelte er den
Kopf. Er überflog den Rest des Briefes und kam am Ende an: "... see you soon, my Kätzchen."
Youji schnappte nach Luft. Dieses Wort kannte er... Er hatte es nach einem Kampf gegen Schwarz -
genau genommen gegen Schuldig - nachgeschlagen... Er wollte einfach wissen, was ihm der Deut-
sche da an den Kopf warf...
Youji hielt sich die Hand vor den Mund. Immer wieder überflog er diese beiden Wörter... Nesthäk-
chen... Kätzchen...
"Kami-sama... Omittchi...", hauchte er.
Youji blieb eine geschlagene halbe Stunde regungslos sitzen und hielt die Karte in einer Hand, die
Augen unverändert auf "Kätzchen" gerichtet.
Schliesslich schaffte er es, sich aus seiner Starre zu lösen. Er legte die Karte auf Omis Kopfkissen,
holte in seinem eigenen Zimmer sein Deutsch-Japanisches Wörterbuch und legte es dazu.
Lange überlegte er, was er Omi für eine Nachricht schreiben sollte... Er notierte nur:
"Wir müssen reden. Youji."

Omi kam eine Stunde vor ihrer Mission nach Hause. Verwundert stellte er fest, dass seine Zimmertür
nicht abgeschlossen war, zuckte aber gleichgültig die Schultern... Er hatte es wohl vergessen.
Als sein Blick aber auf sein Bett fiel, mit der geöffneten Karte und einem Wörterbuch daneben, riss er
erschrocken die Augen auf. "Oh, nein", flüsterte er. "Bitte nicht..." In seinem Kopf ging er die möglichen
Szenarien durch, die darauf folgen könnten.
War Aya der Entdecker der Karte, konnte er sich gleich von seinem Kopf verabschieden... Mit Ken
musste sich bestimmt reden lassen... irgendwie... Und...
"Wir müssen reden. Youji."
Youji. Aber was war mit Youji?
Omi hielt die Nachricht in zitternden Fingern. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Was sollte er You-
ji sagen? Es hatte überhaupt keinen Zweck zu lügen. Youji würde es sofort durchschauen! 'Was mach
ich nur? Was mach ich nur?'
Kurzentschlossen packte er den Zettel und die Karte und hetzte zu Youjis Zimmer, ehe ihn sein Mut
wieder verlassen konnte.
Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, als er anklopfte. Aber sie mussten das jetzt klä-
ren! Sie hatten nur noch eine Stunde, bis zur Mission! Wenn Youji es den anderen erzählte... Nein! Er
musste ihn einfach davon überzeugen, dass alles in Ordnung war!
Youji öffnete mit ausdruckslosem Gesicht die Türe. Er trat zur Seite. "Komm rein." Er war ganz froh,
dass man ihm seine Nervosität nicht ansehen konnte. Seine Stimme klang regelmässig, und das Zit-
tern hatte er zum Glück unter Kontrolle. Er deutete weiter auf sein Sofa. "Setz dich."
Omi gab klein bei und tat, was Youji verlangte.
Youji stellte sich vor ihn, in der vollen Absicht, so auf den jüngeren Jungen hinab sehen zu können.
"Und?", fragte er, und hielt seine Stimme so kühl wie möglich.
Youjis Taktik funktionierte, Omi kam sich noch kleiner vor, als sonst. "I... i-ich..." Omi schluckte einmal.
"Ich kann nur sagen, dass ich kein Verräter bin... u-und... und ich werde nicht kontrolliert."
Youjis Fassade brach zusammen. Irgendwo in seinem Kopf hatte er noch die kleinste Hoffnung ge-
habt, dass er sich geirrt haben musste! Dass er sich das alles nur einbildete... Und Omi gab jetzt ohne
weitere Umschweife zu, was Youji befürchtet hatte. Seine Stimme bebte, als er nach mehrmals Luft
holen endlich sagen konnte: "Es ist also wahr?"
"Bitte, sag den anderen nichts!", bettelte der Junge.
Youji verwarf die Hände und lief unruhig auf und ab. "Ist das alles, worüber du dir Gedanken machst?!
Der Kerl ist unser Feind! Er hat uns x-mal versucht umzubringen! Verdammt noch mal, Omi, er hat
deine Schwester erschossen!!!" Youji kümmerte es nicht mehr, dass er schrie.
Omi nahm nun ebenfalls eine verteidigende Haltung ein. "Er wollte meine Schwester nicht töten! Er
hat auf mich gezielt!"
Youji lachte sarkastisch. "Und das soll besser sein?"
Omi liess seufzend die Schultern sinken. "Beantworte mir eine Frage: Wie konnten wir so lange gegen
vier Killer mit übersinnlichen Fähigkeiten überleben?"
Youji starrte ihn an, als hätte er drei Köpfe. "Was soll die Frage?"
Omi seufzte noch tiefer. Er sollte vom Team ja niemandem etwas sagen... aber was, wenn er Youji
nur so überzeugen konnte... "An dem Tag, als er... als er Ouka getötet hat, hatte er eigentlich auf mich
gezielt... Aber nicht, um mich zu töten. Mich verletzen, mir Angst einjagen... Was weiss ich." Er sah
zögernd zu Youji auf. "Der direkte Befehl von Crawford lautet, keinen von uns zu töten, oder perma-
nent zu verletzen."
Youji schüttelte energisch den Kopf. "Blödsinn! Das ist doch absurd!"
"Nein." Omi blieb ganz ruhig. "Schwarz... amüsiert sich mit uns... Wie wir ständig versuchen, sie zu
besiegen und es nie schaffen... Aber Crawford braucht uns alle vier lebend, wofür weiss ich nicht. Er
hatte wohl eine Vision, die ihm gezeigt hat, dass wir ihm irgendwann noch nützlich sind. Ich hab keine
Ahnung."
Youji setzte dreimal an, etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Das machte schon Sinn...
Wenn er es sich recht überlegte, hätten sie nie auch nur den Hauch einer Chance gegen Schwarz
gehabt. Sie müssten alle längst tot sein. Nagi allein hätte zum Beispiel einfach das Koneko zusam-
menfallen lassen können, mit allen von Weiss darin... Oder Schuldig, hätte er es gewollt, hätte er ein-
fach ihre Gehirne "abschalten" können... Alles kein Problem. Und dazu hätten sie ihren Gegnern noch
nicht einmal nahe kommen müssen...
Omi erkannte, dass Youji der Gedanke langsam einleuchtete.
Youji kniff die Augen zusammen. "Na, schön. Nehmen wir an, dass das wahr ist..." Er seufzte tief und
ein Teil seiner Wut kehrte in seine Stimme zurück. "Das erklärt aber immer noch nicht, warum du dich
mit Schuldig eingelassen hast! SCHULDIG! Von allen möglichen Leuten!"
Omi blinzelte. Es war schon merkwürdig gewesen... Es war an seinem zweiten Ausgeh-Abend. Er
hatte ein Bisschen was getrunken. Schuldig musste ihn an der Bar entdeckt und sich gedacht haben,
er könne den jungen Weiss-Killer ein wenig ärgern... Aus dem Ärgern wurde Flirten - an und für sich
nichts Ungewöhnliches, es war Schuldigs Art zu flirten...
Omi zuckte die Schultern. "Hat sich irgendwie so ergeben. Ich hatte schon etwas intus, und wir hatten
wirklich Spass."
Youji hatte keine Zweifel daran, was Omi in dem Fall unter "Spass" verstand. Und er war sich nicht
sicher, ob ihm der Gedanke gefiel... Ihr Omi? Klein-Omittchi? Lässt sich in einem Club aufreissen...
von einem Schwarz???
Omi kicherte plötzlich.
"Was ist so komisch?!"
"Was hat dich an dem Bild wirklich gestört, Youji-kun? Dass er zu Schwarz gehört? Dass er ein Mann
ist? Oder dass euer Kleinster Sex auf einem Bar-Hocker hat?"
Youji blieb die Luft im Hals stecken. "WAS???"
Omi grinste, und es sah verdächtig nach einem Grinsen aus, das er bei einem gewissen Deutschen
abgeschaut hatte. Es war absolut "un-omisch".
Youjis Augen tanzten wild hin und her. "Das hab ich eben nicht gehört. Nein, ich hab das nicht ge-
hört!", bekräftigte er.
Omi musste wieder lachen. Er wusste, dass seine Situation nicht zum Lachen war, aber er konnte
nicht anders.
Youji brachte nur noch zusammenhangslose Satzbrocken zustande. "Omi, du... Wow! Auf einem... Oh
Gott!" Er kniff die Augen zusammen und grinste. Dann schüttelte er den Kopf. "Aber warum Schuldig?
Klar, ich kann mir ja vorstellen, dass der Kerl gut im Bett ist..."
Omi lächelte etwas verlegen.
"... Aber der benutzt dich bestimmt..."
"Wofür?"
"Hä?" Lag das denn nicht auf der Hand?
"Ich meine", erklärte Omi, "wenn er etwas über unsere Pläne wissen will, kann er von uns allen die
Gedanken lesen, wann und wo er will. Dazu braucht er nicht mit mir ins Bett zu steigen."
Youji seufzte wieder. Das leuchtete ebenso ein, auch wenn er das ungern zugab. Aber er konnte sich
einfach nicht vorstellen, dass sich der Deutsche ohne weitere Hintergedanken mit Omi abgab. Dann
fiel ihm auf, dass Omi seine Frage noch nicht beantwortet hatte. "Warum er?", wiederholte er.
Omi antwortete lange nicht. Er schien es selbst nicht wirklich zu wissen. Langsam begann er: "Ich
weiss nicht so genau... Ich fühl mich gut bei ihm. Wir haben Spass..." Er änderte seine Taktik. "Kannst
du dir vorstellen wie Sex ist, wenn ein geistiger Kanal zwischen dir und deinem Partner offen ist? Das
ist wie... Na ja, du fühlst eben auch, was der andere fühlt. Es ist alles doppelt so intensiv..."
Youji nickte. "Denkst du auf meinem Territorium bewegst du dich sicherer?" Er grinste. Es war ja nicht
gerade ein Geheimnis, dass er einiges auf Sex hielt. "Aber ich kenne dich zu gut. Das reicht vielleicht,
um deine Neugierde zu wecken. Aber egal, wie viel Spass ihr habt, du bist zu emotional, um mit je-
mandem so lange wegen dem Sex zusammen zu bleiben." Er kreuzte die Arme. "Also, noch mal Klar-
text. Warum kehrst du immer zu ihm zurück?"
Omi senkte ertappt den Blick. Diese Frage stellte er sich auch oft. "Ich denke... ich bin dabei, mich in
ihn zu verlieben", sagte er, kaum lauter als ein Flüstern.
Youji rieb sich das Nasenbein. Omi... verliebt in den Feind. Das Problem war also grösser als gedacht.
Mit müden Augen sah er auf in Omis unsicheres Gesicht. "Weiss er das?"
Omi erwiderte den Blick mit einem, der deutlich sagte, 'Was denkst du denn?'.
"Okay, war eine dumme Frage", gab Youji seufzend zu. Natürlich würde der Telepath das wissen.
"Youji-kun...?", fragte Omi vorsichtig.
"Was denn?" Youji wog verschieden Möglichkeiten ab und schenkte Omi nicht wirklich seine ungeteilte
Aufmerksamkeit. Offenbar wurde Omi wirklich nicht von Schuldig manipuliert, das sah immer ganz
anders aus... Der Deutsche konnte zwar Leute dazu bringen, Dinge zu tun, die er von ihnen verlang-
te... Aber er schaffte es nicht, dass diese Leute das auch wollten. Und Omi wollte... ganz offensicht-
lich. Auch hatte Omi Recht, natürlich konnte Schuldig von ihnen allen Informationen holen, wenn er
wollte, dazu brauchte er Omi nicht...
Omi bemerkte zwar Youjis Abwesenheit, fuhr aber trotzdem fort: "Ich weiss, du wirst mir das nicht
glauben, aber... Schu behandelt mich wirklich immer gut. Er hat nie etwas getan, das ich nicht wollte...
Und... ich weiss, dass er mich auch irgendwie mag... auf seine eigene Weise..."
Bei dem Wort 'Schu' verzog Youji das Gesicht. Er konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass Omi
diesem Bastard einen liebevollen Übernamen gab... Dann fasste er einen Entschluss. "Na schön",
lenkte er ein. "Ich will den Kerl treffen. Nicht den Typen von Schwarz, sondern deinen Liebhaber. Ver-
standen?"
Omi nickte zögerlich. "Ich werde mit ihm reden."
Youji zwang sich zu lächeln. "Ich kann doch unseren kleinen Omittchi nicht im Stich lassen." Er hob
einen Finger. "Aber eins sag ich dir: Wenn dir dieser Mistkerl auch nur ein Haar krümmt, erledige ich
ihn, Telepath oder nicht!"
Omi lächelte verhalten.
Dann klopfte es an der Türe.
Omi sah Youji erschrocken an.
Youji wehrte ab. "Ich werde ihnen nichts sagen. Noch nicht", versprach er leise.
Von draussen tönte die Stimme von Ken. "Youji? Weisst du, ob Omi wieder da ist?"
"Er ist hier", rief er zurück. "Wir kommen gleich."
"Okay."
Youji wartete, bis sich die Schritte entfernt hatten. "Noch eine Frage..." Er strich sie ein paar Strähnen
aus dem Gesicht. "Was, wenn Crawford davon Wind kriegt? Der nimmt euch auseinander!"
Omis Augen weiteten sich, dann senkte der den Blick wieder. Leise murmelte er: "Crawford weiss es
schon."
Youji liess sich rücklings auf sein Bett fallen. Er rieb sich das Gesicht, dann schaute er auf die Uhr.
"Na schön, wir haben noch zehn Minuten. Schiess los."
Omi fingerte unruhig am Saum seiner Ärmel. "An dem Tag, als ich Schu getroffen hab... Crawford war
wohl der, der ihm den Abend frei gegeben hatte." Omi atmete tief und sah selbstsicher auf. Besser,
Youji alles erzählen, ehe dieser es sonst am Ende noch selber heraus fand. "Letzte Woche... der Lie-
ferauftrag, den ich hatte, weisst du noch?"
Youji setzte sich. "Da gab es ein paar..."
"Der, bei dem ich danach bei Freunden geblieben bin...?", fragte er tastend nach.
Youji nickte. Er erinnerte sich. Er hatte ja vermutet, der Junge sei bei seiner Freundin geblieben.
Omi fuhr fort: "Weisst du noch, an wen die Lieferung ging?"
Youji schüttelte den Kopf. "Irgendeine Abkürzung. Drei Buchstaben, glaube ich."
Omi nickte. "CIR."
"Möglich, kann sein. Kann mich nicht erinnern."
"Ich hab erst auch nicht gewusst, was die Abkürzung heisst, obwohl ich hätte darauf kommen müs-
sen... "Crawford Investigations and Recoveries"..."
Youji hob eine Augenbraue. "Also hat Schuldig dich hinbestellt?"
Omi schüttelte den Kopf. "Nein, es war Crawford. Schu wusste nichts davon. Ich dachte, mein Herz
bleibt stehen, als Crawford die Türe aufgemacht hat..." Omi schauderte bei dem Gedanken.
Youji hob hilflos die Hände, als er den Sinn dahinter nicht verstehen konnte. Wenn Crawford doch von
Omi und Schuldig wusste, warum hatte er ihn dann kommen lassen?
Omi verstand und erklärte weiter: "Sie hatten an demselben Abend einen Hit geplant. Crawford hat
vorausgesehen, dass Nagi mit den Nachforschungen aber nicht nachkommen würde, und dass sie es
auf diese Woche verschieben müssten..." Omi zögerte und blickte Youji durch seine Fransen hoch an.
"Er hat dann wohl noch gesehen, dass sie dann Probleme haben würden und ich... Er hat mich hin-
kommen lassen, damit ich Nagi helfe, rechtzeitig fertig zu werden."
Diesmal wirklich wütend schoss Youji hoch. Für ihn stand in dem Moment fest, was also der Grund für
Schuldig war, mit Omi anzubändeln.
Omi unterbrach ihn schnell, ehe er etwas sagen konnte: "Die Zielperson wäre ohnehin auf unserer
Liste gelandet!", versicherte er schnell.
Youji zwang sich ruhig zu bleiben, aber seine Augen funkelten gefährlich. "Warum sollte Schwarz
unseren Job machen? Und woher willst du wissen, dass der wirklich sonst zu uns gekommen wäre?"
"Weil Schwarz dafür bezahlt wurde, den Hit zu machen. Ist Crawford doch egal, wo das Geld her-
kommt, seit sie selbstständig sind. Und ich weiss, dass wir sonst den Auftrag gemacht hätten, weil wir
heute Abend einen seiner Handlanger erledigen sollen!" Omi versuchte verzweifelt, Youji wieder von
seiner Loyalität zu überzeugen. "Birman hat doch selbst gesagt, dass der Frontmann letzte Woche
ausgeschaltet wurde! Ich hab also unsere Arbeit eine Woche früher erledigt!"
Youjis Miene veränderte sich nicht.
"Verdammt, Youji! Schu wäre vielleicht etwas passiert, wenn ich ihnen nicht geholfen hätte! Und es
liegt ja auf der Hand, was schief gegangen wäre, hätten sie es auf diese Woche verschieben müssen.
Sie wären auf uns gestossen."
Youji schnaubte. "Du hast doch selbst gesagt, dass wir keine Chance gegen sie haben. Warum also
das Theater?"
Omi sackte auf dem Sofa in sich zusammen. "Ich weiss es nicht. Es wäre etwas schief gegangen.
Crawford hat nicht gesagt, was. Vielleicht wäre ja auch einer von unserer Seite dabei draufgegangen,
was weiss ich. Jedenfalls wäre etwas passiert, was Crawford nicht in den Kram gepasst hätte. Und
zwar so sehr nicht in den Kram gepasst, dass er mich dazu geholt hat! Kannst du dir vorstellen, dass
der Typ freiwillig Hilfe sucht?"
Youji runzelte die Stirn.
"Eben, ich auch nicht. Und ich will auch gar nicht wissen, was passiert wäre. Echt nicht."
Youji suchte krampfhaft nach Geduld. Er sah auf die Uhr. Verdammt! Noch fünf Minuten!
Omi drängte weiter. "Ich hab unseren Job gemacht und bin bezahlt worden. Wo liegt das Problem?"
Youji sah ungläubig auf. "Crawford hat dich bezahlt?"
Omi zuckte die Schultern. "Natürlich."
Youji schüttelte den Kopf. "Freundest du dich jetzt mit dem ganzen Haufen an?"
Omi lächelte schwach. "Ich glaube nicht, dass das Leute sind, mit denen man sich einfach so anfreun-
det." Er überlegte einen Moment. "Aber es lässt sich mit ihnen arbeiten. Crawford ist zwar ein arrogan-
ter Bastard, aber immer korrekt - ausser natürlich mit seinen Feinden. Mit Nagi konnte ich auch ganz
gut arbeiten, am Computer denken wir beide ähnlich..."
"Wie süss", zischte Youji sarkastisch. "Und? Hat dir Farfarello seine Messersammlung gezeigt?"
Omi stutzte einen Augenblick lang... dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er konnte sich ein-
fach nicht mehr beherrschen. Die ganze Anspannung in seinem Körper musste jetzt raus... und die
Vorstellung von Farfarello, wie er ihm seine Lieblingsmesser vorstellte, war einfach zu komisch. Er
hielt sich den Bauch vor Lachen und krümmte sich auf dem Sofa.
Youji beobachtete das erst ungläubig, dann begann auch er zu lachen. Wenn er es recht überlegte,
hätte er ja eigentlich nichts dagegen, wenn dadurch die Rivalität von Schwarz und Weiss vielleicht
irgendwann endete... Wenn noch Probleme auftauchten, konnten sie sich ja immer noch darum küm-
mern, im Moment schien alles glatt zu gehen.
Er beobachtete Omi noch eine Weile lang, wie er lachte... Omi schien glücklich. Natürlich, er war
schon immer ein Sonnenschein in ihrem Leben gewesen, aber jetzt wirkte er, als wäre es mehr, als
einfach nur seine Art. Er war wirklich glücklich. Youji seufzte. Und das war ihr Jüngster seit Ende letz-
ten Jahres... Schliesslich meinte er: "Aya reisst dich in Stücke, wenn er Wind davon kriegt, Kleiner..."
Omi beruhigte sich langsam. "Mit ihm werde ich wohl länger reden müssen, als jetzt mit dir..."
Youji stand auf. "Wer sagt denn, dass du mich schon überzeugt hast? Ich habe noch mehr Fragen.
Aber später. Die anderen warten."
Omi lächelte dankbar und stand ebenfalls auf. "Deal."
"Heute Abend gibt es ja keine Probleme mit Schwarz..."
Omi schüttelte den Kopf und grinste. "Den ganzen nächsten Monat auch nicht. Abmachung mit Craw-
ford."
Youji stutzte.
Omi lachte nur, ehe sie das Zimmer verliessen. "Vermutlich wären sie uns eh nicht über den Weg
gelaufen... Sonst hätte er sich bestimmt nicht darauf eingelassen."


***
Es war dunkel. Youji stand nervös an einer Strassenlaterne und zündete sich eine Zigarette an. Wa-
rum zum Kuckuck wollte dieser dämliche Telepath alleine mit ihm reden? Es wäre ja schon schlimm
genug mit Omi gewesen... aber alleine?
Andererseits wusste er so zumindest, dass Omi zu dem Zeitpunkt NICHT bei Schuldig war... bei die-
sem arroganten, hinterhältigen, sadistischen, Bastard von...
Youji fuhr halb zu Tode erschrocken herum, als ihm jemand die Zigarette aus den Fingern schnappte
und wegwarf. Das bekannte, zynische Lachen brachte ihn dazu, zu erstarren.
"Ist doch immer gut zu wissen, dass man geschätzt wird", bemerkte sein Gegenüber und funkelte ihn
aus kalten, grünen Augen amüsiert an.
Youji versuchte, seinen Herzschlag wieder zu beruhigen und den Deutschen möglichst gelassen an-
zusehen.
Schuldig wies grinsend auf die Kippe auf dem Boden. "Tztz... das ist aber gar nicht gut für dich, Yo-
tan."
"Was interessiert es dich?", fauchte Youji.
Schuldig winkte tadelnd mit seinem Zeigefinger. "Na, na. Du wolltest schliesslich mit mir reden. Kein
Grund unhöflich zu werden."
Youji zog seine Augen zu schlitzen, erwiderte aber nichts. Was hätte er auch sagen sollen?
Schuldig wies mit seinem Kopf zur Seite. "Gehen wir."
"Wohin?", fragte Youji skeptisch.
"Das Restaurant da unten. Hab keine Lust, in der Kälte zu stehen."
Youji zögerte. Wie konnte er sicher sein, dass das keine Falle war?
Schuldig drehte sich grinsend um. "Du wirst mir einfach vertrauen müssen, Yotan."
"Halt dich aus meinem Kopf raus", knurrte er als Antwort, folgte dem anderen aber.
Schuldig lachte nur in einer Art, die zu sagen schien, "und, was willst du dagegen machen?".
Sie betraten das Lokal, das der rothaarige Mann ihm gezeigt hatte. Gedämpftes Licht, leise, rhythmi-
sche Musik, viele Nischen, in denen man sich unterhalten konnte.
Youji folgte dem anderen Killer und beobachtete, wie er sich leicht zu der Musik bewegte. Das Ganze
schien dem auch noch Spass zu machen...
---Natürlich macht mir das Spass, Kätzchen.---
Youji schüttelte den Kopf, als könnte er so die mentale Stimme, die sich dort breit machte, los werden.
Schuldig warf ihm einen überlegenen Blick über die Schulter hinweg zu und lachte leise. Dann setzte
er sich in eine der Nischen an einen Tisch.
Youji liess sich ihm zögerlich gegenüber nieder. Er hatte den Sitz kaum berührt, da stand auch schon
eine Bedienung neben ihnen.
"Was darf ich Ihnen bringen?"
Youji wunderte sich. Das ging ja schnell.
---Ich habe sie überzeugt, dass sie gerade nichts anderes zu tun hat...--- Schuldig grinste breit und
bestellte einen Kaffee.
Youji nickte und tat es ihm gleich. Er hätte jetzt zwar ganz gut etwas alkoholisches vertragen können,
aber er musste ja dem Telepathen nicht noch einen Vorteil verschaffen, indem er sich zur Besinnungs-
losigkeit volllaufen liess - egal wie sehr ihm danach war...
Sie schwiegen sich gegenseitig an bis der Kaffee kam, obwohl Youji das Gefühl hatte, eine ständige
Präsenz im Kopf zu haben.
Der Deutsche brach die Stille nach einem Schluck schliesslich. "Also, was willst du hören?"
"Die Wahrheit."
"Ich dachte, die hast du schon von Omi."
"Ich weiss, was passiert ist und was Omi denkt! Ich will wissen, was du von ihm willst und weshalb."
Youji musste sich grosse Mühe geben, nicht die Beherrschung zu verlieren und zu schreien. Was
dachte der sich? Verdammt, es ging hier um Omi! Und er war immer noch nicht überzeugt - auch nach
stundenlangen Gesprächen mit ihrem jüngsten Teammitglied - dass Schuldig keine Hintergedanken
haben sollte. Zum Teufel noch mal, der Deutsche hatte praktisch "Vorsicht, ich bin ein hinterhältiger
Bastard und werde mit dir spielen, wie die Katze mit der Maus, ehe ich dich töte" auf die Stirn ge-
schrieben.
Schuldig lachte bei der illustren Beschreibung in Youjis Gedanken. "Ja, ich bin ein Bastard. Ich habe
auch nie etwas anderes behauptet."
Youjis Augenlider zuckten. Also doch!
Schuldig schüttelte gelangweilt den Kopf. "Nein, euer Omi ist sicher. Ich tu ihm nichts... Jedenfalls
nichts, was du nicht auch gerne mit Kenken tun würdest..." Sein Grinsen wurde wieder breiter.
Youjis Augen weiteten sich. Irgendwie hatte er entweder gehofft, dass Schuldig dieses Detail in sei-
nem Kopf entgehen würde, oder aber seine Gedanken an Ken zu tief in seinem Unterbewusstsein
begraben waren, als dass sie entdeckt werden könnten.
Schuldig lachte laut. "Das nennst du tief?" Er hob eine Augenbraue und beugte sich verschwörerisch
näher. "Ich könnte dir ein paar Dinge zeigen, die wirklich tief in deinem Kopf drin sind... wirklich, wirk-
lich tief... Wie zum Beispiel dein Asuka-Trauma..."
Jetzt sah Youji rot. "Raus aus meinem Kopf!", grollte er bedrohlich.
Schuldig lachte nur amüsiert und lehnte sich wieder zurück. Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee.
"Warum Omi?", fragte Youji, nachdem er sich sicher war, dass er nichts aus Schuldig herausbekom-
men würde, wenn er ihn nicht fragte.
"Er fasziniert mich. Nicht diese oberflächlichen, langweiligen Gedanken... Ein Gehirn mit Amnesie, die
zumindest noch teilweise vorhanden ist, ist für mich eine Herausforderung."
Youji verzog keine Miene. Es bestand kein Zweifel, dass da noch mehr sein musste.
Schuldig seufzte melodramatisch. "Okay, ich gebe es zu, ich hab eine Schwäche für den Kleinen.
Nachdem er trotz all der Folter von mir damals nicht zerbrochen ist, begann ich neugierig zu werden...
Davor und danach ist noch jeder daran zerbrochen. Und du kannst dir bestimmt vorstellen, dass es
einige gegeben hat." Er grinste.
'Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie sich Omi trotzdem auf dich eingelassen hat', grummelte Youji
in Gedanken, in dem vollen Bewusstsein, dass sein Gegenüber es hören würde.
"Ich weiss es nicht", kam die Antwort. "Muss sein krankhafter Drang sein, in allem und jedem das Gute
zu sehen..." Er seufzte. "Allzu viel Gutes wird er bei mir nicht finden."
"Ich bezweifle, dass er überhaupt etwas findet."
"Nun, ich habe ihm nichts getan, nicht wahr?"
"Alles eine Frage der Zeit, wenn du mich fragst", erwiderte Youji. "Was, wenn er dich nicht mehr will?
Nimmst du ihn dir dann einfach?"
Schuldig funkelte ihn düster an. "Lass uns eine Sache klarstellen", er klang gefährlich düster. "Ich
vergewaltige nicht."
Youji erkannte zwar den Ernst in der Stimme, wusste aber nicht, ob es die Wahrheit war. Schuldig
quälte Menschen jeden Tag, warum also nicht auch das...?
Schnell wie eine Schlange schnappte Schuldig mit seiner Hand nach vorne nach Youjis.
Youji riss die Augen auf, als bei der Berührung ein Schwall Emotionen über ihn herbrach. Er hatte
Mühe beim Atmen. Da war plötzlich diese beklemmende Angst, die ihm den Brustkorb zuschnürte, die
Stimme eines Kindes, die immer wieder NEIN! schrie... und Schmerz. Dieser Schmerz! ... Dann war
es weg. Es dauerte lange, bis er wieder ruhig atmen konnte und bemerkte, dass Schuldig wieder ruhig
auf seinem Stuhl sass, seine Hände beide vor sich auf dem Tisch.
Schuldig sah dem anderen Mann direkt in die Augen...
... Und Youji sah zurück, in grüne Augen, in denen ein eiskaltes Feuer loderte. Er musste nicht fragen,
wessen Emotionen das waren... Schuldig.
Mit einer fast zu ruhigen Stimme fuhr Schuldig fort: "Weisst du was an Telepathie wirklich interessant
ist...? Bei Körperkontakt kann ich die Gedanken und Gefühle eines anderen kaum mehr abschirmen.
Würde ich euren kleinen Omittchi vergewaltigen... wäre es so schmerzhaft für mich wie für ihn." Seine
kalten Augen forderten Youji geradezu heraus, ihm zu widersprechen...
Youji sagte lange nichts. Er wusste nicht weswegen... er glaubte ihm. Natürlich, vielleicht war das
Ganze nur Show... Aber irgendwie... nein. Er hatte den Telepathen nie so ernst gesehen. Für ihn war
alles nur ein Spiel - ein grausames manchmal - aber ein Spiel. Irgendwann sagte er: "Liebst du ihn?"
Schuldig schnaubte. "Nach allem, was du von mir weisst, glaubst du tatsächlich, dass ich zu so etwas
noch fähig bin?"
Youji sagte nichts, dachte aber absichtlich noch einmal ganz deutlich daran, wie sich das Kind gefühlt
hatte, das in dieser 'Vision' - oder was auch immer - um Hilfe schrie. Ein kleiner Junge, der sich nach
Liebe sehnte...
Schuldig blitzte ihn an und bereute bereits, dem anderen von der Vergewaltigung erzählt zu haben.
"Treib's nicht zu weit, Kudou!", zischte er. Dann kehrte der gelangweilte Gesichtsaudruck in seine
Züge zurück. "Omi hat etwas Reines an sich, das nicht einmal ich zerstören konnte... Er hat fast so
viel Scheisse hinter sich, wie ich, trotzdem hat er sich seine Hoffnung bewahrt, wo ich ein arroganter
Bastard geworden bin." Er sinnierte einen Augenblick über seiner Aussage. "Ich will nicht, dass er es
verliert", schloss er.
Youji wusste darauf nichts zu erwidern.
Schuldig grinste wieder. "Nicht, dass du mich falsch verstehst. Ich bin gerne ein arroganter Bastard...
man verdient besser." Er trank seinen Kaffee aus. "Ich hab genug geredet. Mir ist langweilig." Er stand
auf. "Wir sehen uns wohl früh genug." Dann lehnte er sich noch einmal nahe zu Youji vor. "Mir ist ei-
gentlich egal, ob du gehört hast, was du hören wolltest... Du wirst mich nicht davon abhalten können,
Omi zu treffen."
"Was macht ihr, wenn Aya davon Wind bekommt?"
Schuldig zuckte die Schultern. "Das werden wir ja dann sehen, nicht wahr? Crawford hätte mich ge-
warnt, wenn es Probleme geben würde." Damit stand er wieder auf und liess Youji zurück.
Youji sah ihm nach, wie er das Lokal verliess. Durch die Scheibe warf er ihm der andere noch einen
flüchtigen Blick über die Schulter hinweg zu.
Youji blinzelte. In dem Moment, als sich ihre Augen trafen, konnte er ein Bild in seinem Kopf erken-
nen. Ein Lagerhaus... Er kannte es, er hatte von dort aus in seinen Detektivtagen einmal einen Ehe-
mann im nebenstehenden Motel beschattet. Youji runzelte die Stirn. Es bestand kein Zweifel, dass
das Bild von dem Telepathen in seine Gedanken gepflanzt wurde... Aber warum? Wieder sah er das
Motel...
Youji dämmerte es langsam.
Der ganze Austausch hatte keine zwei Sekunden gedauert. Schuldig hielt den Blickkontakt nicht län-
ger als einen Wimpernschlag mehr aufrecht und verschwand um die nächste Ecke.
Youji zögerte nur kurz, ehe er aufstand, bei der Kellnerin die beiden Kaffees bezahlte und sich beina-
he fluchtartig auf den Heimweg machte.
Er rannte die ganze Zeit über. Erst vor seiner Zimmertüre machte er halt und schielte zu Omis. Leise
ging er darauf zu und legte ein Ohr an die Türe.
Gut. Er hörte Omi am Computer tippen. Er war also noch da... Wenn er aber die "Eingebung" des
Schwarz-Killers richtig gedeutet hatte, würde der Kleine nicht mehr lange hier bleiben.
Youji machte sich auf in sein Zimmer, packte sich ein Fernglas und überlegte kurz, ob er noch etwas
brauchen würde... Nein. Jedenfalls nichts, was er jetzt einfach so mitnehmen konnte. Ein Abhörgerät
wäre zwar nicht schlecht gewesen... aber... na ja. Er hatte ja keines. Er hatte schliesslich mal gelernt
Lippen zu lesen.
Entschlossen atmete er tief durch und verliess die Weiss-Behausung wieder.

Youji brauchte nicht lange in dem Lagerhaus zu warten. Er hatte sich kaum im ersten Stock niederge-
lassen, da sah er in einem der Zimmer im Motel - auf das er jetzt freie Sicht hatte - das Licht angehen.
Youji brauchte das Fernglas nicht, um die Person darin zu erkennen. Das flammende, orangene Haar
war unverwechselbar.
Schuldig zog seinen Mantel aus und hängte ihn über eine Stuhllehne. Er hielt kurz inne, um einen
Blick aus dem Fenster zu werfen.
Auch ohne Fernglas sah Youji, dass der Blick des anderen direkt auf ihn gerichtet war.
---Du weisst das besser zu würdigen, Weiss.---, grollte die bekannte Stimme.
Youji schickte dem Telepathen ein mentales Nicken.
Schuldig schüttelte den Kopf und rieb sich das Nasenbein, als wolle er sagen "Worauf habe ich mich
nur eingelassen?".
Für Youji bestand kein Zweifel, dass Omi nichts davon wusste... Er würde sich später bei dem Jungen
entschuldigen, aber es gab nur eine Möglichkeit für ihn, wirklich überzeugt zu werden... Er musste die
beiden sehen.
Eine Gestalt ausserhalb des Gebäudes zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Youji erkannte ihn sofort
an seinem Gang und auf den zweiten Blick waren auch blonde Haarsträhnen, die unter der schwarzen
Kappe hervorlugten, zu erkennen.
Youji wurde unruhig. Was würde er zu sehen bekommen? Nun ja... Er hatte schon eine ziemliche
Vorstellung davon, war sich aber nicht mehr so sicher, ob er das auch sehen wollte.
Aber was blieb ihm schon anderes übrig? Es ging hier um Omi! Er musste sich einfach davon über-
zeugen, dass der Kleine zumindest gut behandelt wurde.
Schmetterlinge begannen in seinem Bauch zu explodieren, als Omi das Motel betrat. Youji war ner-
vös... nervös wie lange nicht mehr. Wenn das so weiter ging, würde er bis zuletzt nicht mal mehr das
Fernglas ruhig halten können. Seine Hände zitterten wie verrückt.
Omi...
Youji schickte unwillkürlich einen Gedanken zu dem Deutschen auf der anderen Strassenseite... Er
hatte das Gefühl, dass der ihn gut würde hören können: ---Wenn du dem Jungen irgendwie weh tust,
bringe ich dich um! Und glaub mir, deine Tricks werden dich dann nicht mehr retten!---
Er hatte Recht, Schuldig hörte ihn. Youji konnte beinahe den Beginn einer Antwort auf die Drohung
ausmachen, als die Türe zu Schuldigs Zimmer geöffnet wurde und Omi eintrat.
Youji traf in dem Moment eine Welle von Emotionen - offensichtlich von Schuldig projiziert - ehe die
Verbindung zwischen ihnen getrennt wurde.
Was Youji dann sah, liess sein Herz schneller schlagen.
Omi zog sich die Mütze vom Kopf und liess sie zu Boden fallen. Dann stürzte er sich praktisch auf den
anderen Mann, schlang seine Arme um seinen Hals und küsste ihn.
Youji zwang sich tief durchzuatmen und durch das Fernglas zu sehen.
Der erst stürmische Kuss wurde nach und nach langsamer, sinnlicher.
Hätte Youji nicht schon längst gewusst, wie sehr Omi in den anderen verliebt war... jetzt war es unver-
kennbar. Selten hatte er einen so innigen Kuss gesehen. Und dem Aussehen nach zu urteilen, kam
dieses Gefühl von beiden Seiten... Schuldig hatte zweifelsfrei starke Gefühle für den Jungen, obwohl
der Gedanke daran Youji immer noch Unbehagen bereitete. Wie passte das Bild, das er jetzt sehen
konnte und das Bild von dem sadistischen Killer von Schwarz, zusammen?
Youji war sich sicher, die Emotionen, die er kurz vor dem Trennen der Verbindung zwischen ihm und
Schuldig noch gespürt hatte, waren mehr als einfache Zuneigung...
Er wurde aus seinen Gedanken geholt, als Omi begann, seinem Gegenüber das Hemd aufzuknöpfen
und zwischen kleinen Küssen mit ihm redete.
Youji gab sich alle Mühe, sich auf das Lippenlesen zu konzentrieren und -nicht- auf Omis Hände, die
über Schuldigs Brust strichen.
"Wie ist es gelaufen?", fragte Omi.
Schuldig nickte. "Er wird uns nicht verraten, mein Kätzchen."
Youji nickte zufrieden. Gut, er hatte also noch nicht alles verlernt, er verstand den Dialog, obwohl es
erschwert wurde durch die Tatsache, dass die meiste Zeit mit den Lippen auf denen des anderen
gesprochen wurde...
Omis weiche Lippen bewegten sich lächelnd über denen des anderen Mannes. "Du hast mir gefehlt."
Wieder einer dieser tiefen, mandelkitzelnden Küsse, bei denen es Youji heiss und kalt über den Rü-
cken lief, ehe die Antwort kam: "Du mir auch."
Der Deutsche zog dem Jungen das T-Shirt über den Kopf, ehe er sich zu ihm beugte und seinen Hals
küsste.
Youji behielt Omi im Auge, der den Kopf in den Nacken warf, den Mund leicht geöffnet, die Augen
geniesserisch geschlossen, die Arme fest um den anderen geschlungen.
Weiterhin hielt er das Fernglas fest auf Omi gerichtet und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass
die beiden mit dem Ausziehen unterhalb der Gürtellinie fortfuhren.
Ein weiterer Punkt, den Youji zu ignorieren versuchte, war seine eigene, langsam zu enge Hose. Er
seufzte... Zu Hause würde er eine kalte Dusche brauchen...
Er sah, wie Omi seinem Partner das letzte Kleidungsstück auszog, sich hochstemmte und seine Beine
um dessen Taille schlang...
Eine -wirklich- kalte Dusche...
Die Küsse der beiden wurden immer verlangender, während Schuldig rückwärts zum Bett taumelte
und sich darauf setzte mit Omi auf seinem Schoss. Er langte hinter sich und brachte eine Tube nach
vorne. Mit zitternden Fingern wollte er den Deckel abschrauben... Omi nahm sie ihm süss lächeln ab
und übernahm die Aufgabe, sie zu öffnen und etwas von dem Inhalt auf seine Hand zu geben. Er leg-
te die Tube zur Seite, und während er unverwandt in Schuldigs Augen sah, wanderten seine Hände
tiefer, bis...
Youji wandte sich heftig atmend ab. Er wischte sich den Schweiss von der Stirn. Verdammt! Wenn er
noch länger zugesehen hätte, wäre seine eigene Hand auch nicht mehr davon abzuhalten gewesen,
tiefer zu wandern... Seine Jeans spannte nun geradezu schmerzhaft.
Zögerlich wandte er sich wieder zurück, diesmal aber ohne Fernglas. So detailliert musste er sie nicht
sehen... War auch besser für seine Hose und deren Inhalt...
Er sah, wie sich die beiden Körper in Hitze umschlangen, praktisch zu einem verschmolzen. Ihre Be-
wegungen und sogar ihre beschleunigte Atmung waren harmonisch...
Youji fiel nur ein Wort dazu ein: wunderschön. Jetzt glaubte er zu verstehen, was Omi zu dem Mann
zog. Selbst wenn es nicht Liebe war, dann eine Verbundenheit, wie er sie mit seinen Bettgeschichten
nie teilte...
Natürlich, Omi brauchte vor Schuldig seinen "Nachtjob" nicht zu verheimlichen. Er war einer der we-
nigsten Menschen auf der Welt, die er nicht anlügen musste... Auch wenn Schwarz und Weiss an
verschiedenen Fronten standen, verband sie beide der Tod.
Youji beobachtete, wie die Bewegungen der beiden Liebenden hektischer wurden und immer schnel-
ler auf einen Höhepunkt zusteuerten. Es hatte von Anfang an nicht ausgesehen, als würde es lange
andauern, aber es war trotzdem nicht nur eine "schnelle Nummer", wie er sie selbst zur Genüge
kannte... Youji beobachtete, wie die beiden ihre Erfüllung erreichten und... er beneidete sie.
"Nicht sentimental werden, Kudou", murmelte Youji. Aber als er sah, wie Omi und Schuldig lange eng
umschlungen sitzen blieben, sich durch die Haare, über das Gesicht und den Rücken strichen, sich
langsam und zärtlich küssten...
Beim Anblick von Omis rotgeküssten Lippen fiel Youji wieder eine Passage aus der Valentinskarte
ein... Kirschrote Lippen. Er lächelte.
"Teufel noch eins!", fluchte er leise, als ihm mehr und mehr klar wurde, dass ihm sein Leben als Toki-
os Womanizer nicht wirklich gefiel. Klar... Spass hatte er schon, aber...
Er seufzte. Die beiden legten sich nach einer kleinen Ewigkeit im Bett nebeneinander und tauschten
Liebeleien aus.
Youji kümmerte es nicht mehr, worüber sie redeten. Es war mehr als deutlich, dass Omi glücklich
war... und das nicht ohne Grund, wie er feststellen musste.
Er blieb an dem Fenster sitzen und liess jetzt zum ersten Mal zu, sich für ihren Jüngsten zu freuen.
Plötzlich grinste er. Er hatte Omi ja eigentlich nur so zum Spass immer "Sexy" genannt. Aber nach
dem, was er heute gesehen hatte... war das wohl nicht ganz so grundlos. Er lachte leise. "Ich bin be-
eindruckt, Kleiner."
Er zog die Augenbrauen zusammen, als er sah, wie Schuldig sich plötzlich aufsetzte. Er nahm sein
Fernglas zur Hand.
Schuldig strich sich ein paar Haare aus dem Gesicht und schaute Omi entschuldigend an. "Craw-
ford."
Omi erwiderte das Lächeln sanft. "Schon gut."
Schuldig beugte sich zum dem Jungen und küsste ihn lange, ehe er aufstand und sich anzog.
Youji vermutete - und das zu Recht - dass Schuldig telepathisch von Crawford gerufen worden war.
Schuldig streifte sich seinen Mantel über und beugte sich noch einmal zu Omi. Dieser Kuss dauerte
noch länger. Sie wollten sich nicht wirklich trennen, als Schuldig sich zögernd löste und aufstand. "Wir
sehen uns."
Omi nickte nur, als Schuldig zur Türe trottete und dem Jungen noch einen Blick zuwarf und das Zim-
mer verliess. Kurz darauf verliess er das Motel.
Youji konnte auf Omis Gesicht sowohl etwas Enttäuschung als auch pures Glück lesen. Er sah auf die
Uhr. Eine Stunde seit Omis Ankunft... Die zwei mussten noch wesentlich länger da gelegen haben, als
es ihm bewusst war.
Omi blieb noch etwa zehn Minuten liegen, ehe er auch aufstand und sich langsam anzog.
Für Youji das Zeichen, sich auch auf den Weg zu machen. Er hatte sich vorgenommen, Omi nach
Hause zu begleiten. Also würde er ein paar Häuser weiter auf ihn warten.
Er stellte sich an eine Strassenlaterne und zündete sich eine Zigarette an. Und tatsächlich, nach nicht
mal fünf Minuten kam der Junge in seine Richtung. Er schien ihn erst nicht wirklich wahr zu nehmen,
bis Youji sagte: "Hey, Sexy."
Völlig perplex sah Omi auf. "Yo... Youji-kun...?"
Youji wusste nicht recht, was er antworten sollte, also hob er einfach sein Fernglas hoch.
Es dauerte einige Sekunden, aber Omi verstand und wurde prompt rot.
Youji lachte. Das sah zu süss aus.
Omi blinzelte. Er verstand nicht, warum Schuldig Youjis Anwesenheit nicht bemerkt hatte. "Aber...
aber warum hat Schu nicht...?"
Youji warf die Zigarette weg. "Er hat mich her geführt", meinte er ruhig.
Omi brauchte einen Moment, bis er die Neuigkeit verdaut hatte. Dann grinste er frech. "Und? Hast du
was dazugelernt?"
Youji lachte laut und legte freundschaftlich einen Arm um Omis Schultern. "Gehen wir nach Hause,
Chibi."
Ein paar Schritte gingen sie beide dämlich grinsend nebeneinander her, bis Omi anfügte: "Jetzt ver-
stehe ich auch, warum er mir eine Nachricht für dich mitgegeben hat."
"Nachricht?", Youji sah fragend zu dem Jungen hinunter.
"Ja." Omi nickte. "Ihr habt wohl über jemanden geredet, an dem du Interesse hast, kann das sein?",
frage er.
Youji überlegte krampfhaft. Er konnte sich nicht erinnern... Doch! Moment mal... Ken! Er versuchte
seine Überraschung zu verbergen und nickte. "Ja, da war was", murmelte er betont gleichgültig.
Omi wusste es besser und fuhr fort: "Ich soll dir ausrichten, dass das Interesse beidseitig ist."
Youji blieb stehen und Omi schaute ihn verwundert an.
"Stimmt etwas nicht, Youji-kun?"
Youji sinnierte kurz und lachte leise. Er legte wieder den Arm um Omi. "Es ist nichts. Gehen wir."
Omi sagte nichts, lächelte nur.
Youji lachte noch einmal und schickte einen Gedanken an einen gewissen Deutschen, den er prak-
tisch in seinem Kopf grinsen hören konnte: ---Wenn das stimmt, schulde ich dir was, Schwarz.---
Das Lachen kam auch zurück. ---Ich bin sicher, dass mir da etwas einfällt...---

Ende
06.04.02 - 29.04.02




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