Arjuna Fan Fiction ❯ Mondkinder ❯ neuer Ärger ( Chapter 7 )

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In den folgenden Tagen schienen die Abenteuer bei SEED für beide Mädchen in weite Ferne zu rücken. Das Wochenende war da und man hatte sich zum Schwimmen an einem nahen Baggersee verabredet. Bei dieser Gelegenheit würden auch Junas Freund Tokio und ihre beste Freundin Sayuri zu den beiden Freundinnen dazu stoßen.
Sayuri und Lia waren sich auf Anhieb sympathisch, während Tokio ihr mit Misstrauen begegnete. Obwohl er keine Ahnung hatte, dass Lia tatsächlich mit Chris verwandt war, war alleine die starke äußerliche Ähnlichkeit für ihn Anlass genug, auf Distanz zu bleiben.
Als Tokio einmal alleine mit Juna war, konnte er es nicht lassen, seine Freundin zu fragen: „Sag, Juna-chan…“
„Was Tokio-kun?“
„Du hast seit neuestem eine Gabe, Freaks aufzugabeln, kommt mir vor..“
„Was? Wieso? Sie ist eine Austauschschülerin aus Irland, keine Verrückte!“
„Naja, weil sie dem Freak im Rollstuhl, du weißt schon, diesem Chris, so ähnlich sieht!“
„Deshalb hat sie noch lange keinen solchen Vogel wie er! Ach, Tokio, was du schon wieder denkst!“
Nachdenklich sonnte sich das Pärchen, bis die anderen wieder dazu stießen und sie nass spritzten. Unter großen Gekreische und Gelächter jagten sie daraufhin Lia und Sayuri zum See zurück.
 
Im Laufe dieses Nachmittags fiel es auch Lia auf, dass Tokio sich ihr gegenüber sehr distanziert verhielt, woraufhin sie beschloss, ihn direkt darauf anzureden. Keine Viertelstunde später ergab sich die Gelegenheit, als sie alle gemeinsam auf der Decke saßen und jausneten. Nur Sayuri fehlte, sie war Eis kaufen gegangen und würde so bald nicht zurück sein.
„Tokio-san, hättest du eine Minute für mich?“ Der braunhaarige Bursch wandte sich ihr zu und meinte: „Ja, sicher, Lia-san. Was gibt es?“ - „Habe ich etwas im Gesicht, dass du dich so von mir distanzierst?“ - „Äh, nein, wie kommst du darauf?“ Die Irin sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich habe Augen im Kopf, Tokio-san!“ - „Naja, wenn ich ehrlich bin… du erinnerst mich an einen Freak aus Junas Bekanntenkreis. Du siehst dem Typen verdammt ähnlich, obwohl Juna meint, das hätte nichts mit dir zu tun.“ Lia lehnte sich leicht nach vor, dabei fielen ihr ihre hellblonden Haare auf fast die gleiche Weise wie bei Chris ins Gesicht, so dass es halb verdeckt war. Tokio zuckte zurück und seine Gedanken waren für die junge Telepathin deutlich hörbar: Oh Gott, genauso wie er! Und die Augen! Sie sind wie die einer Katze, nur dass sie bei ihr blau statt türkis sind!' Gleichzeitig übertrug er unwillkürlich ein Erinnerungsbild an Chris, wie dieser ihn für seine Loyalität zu Juna zurechtgewiesen und ihm barsch mitgeteilt hatte, dass Juna und er von nun an unterschiedliche Wege beschreiten würden. Dabei hatte Chris ihn mit seinen irritierenden türkisen Augen angefunkelt, um seine Botschaft deutlich zu machen.
 
Da wusste Lia, dass sie mit Tokio Klartext reden musste. Sie sah ihn an und sagte ruhig: „Du fürchtest mich, weil ich Chris Hawken ähnlich sehe, richtig?“ Er glotzte, nickte und sie fuhr fort: „Lass dir gesagt sein, dass er und ich völlig unterschiedliche Charaktere sind, obwohl wir Geschwister sind. Mein Bruder und ich verfolgen unterschiedliche Wege, auch wenn wir uns von Herzen gern haben und nur ungern voneinander getrennt sind.“ Tokio schnappte nach Luft: „Was!? Lia-san, du bist mit...mit diesem Freak verwandt!?“ Das Mädchen nickte und wiederholte: „Ja, aber du brauchst mich deshalb nicht zu fürchten. Er ist im Grunde völlig harmlos, wenn man weiß, wie man ihn anzupacken hat. Chris hat ein gutes Herz, er tut keiner Fliege was zuleide, wenn man ihn nicht reizt. Ich bin genauso, aber hüte dich vor meiner Explosion!“ Tokio glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Hier saß in aller Seelenruhe die Schwester des Freaks, der ihm Juna gestohlen hatte und wollte ihm etwas von seinem guten Herz erzählen. Das musste ein schlechter Traum sein!
Plötzlich lehnte sich Juna über den Picknickkorb hinweg zu ihnen hinüber. „Worüber redet ihr?“ Lia wandte sich ihr zu. „Tokio hat offensichtlich mehr als nur einmal Bekanntschaft mit meinem Bruder gemacht. Was war denn der Grund für diesen Streit mit Chris? Er hat ja eine Heidenangst vor ihm!“ - „Das ist eine ganze Weile her. Chris hat mich damals mitten in der Wildnis auf einem Berg ausgesetzt, um mich - wie er es nannte - zu „reinigen“. Frag mich nicht, was ihn geritten hat. Tokio hat mir nachher erzählt, er hätte es mit irgendeinem „Tempel“ - seiner Meinung nach ist der Berg ein Tempel - begründet. Angeblich wäre dies früher ein Initiationsritus gewesen.“, erklärte Juna. Lia runzelte die Stirn. „Klingt eigentlich ganz plausibel. Das wird eine Erinnerung an ein früheres Leben gewesen sein, stelle ich mir vor. Das hat er öfter, das ist bei ihm nichts Besonderes.“ Entgeisterte Blicke seitens Juna und Tokio. „Könntest du das bitte erläutern?“
„Chris hat sich schon von klein auf an frühere Leben erinnern können. Das geht bis zu Existenzen in Atlantis zurück. Was glaubt ihr, wie verblüfft Seán war, als mein Bruder haarklein ein Ritual zitieren konnte, das er in diesem Leben nie gehört hat, und ihm dann erklärt hat, es sei aus Atlantis. Seán hat daraufhin Recherche betrieben und das Ritual tatsächlich in alten Aufzeichnungen seines Ordens gefunden! Ich schätze, das wird eine ähnliche Erfahrung gewesen sein. Diese Erinnerungen sind ja auch ein Grund, warum mein Bruder so jung schon Bewahrer wurde: Dinge, die andere erst lernen mussten, wusste er einfach schon!“
Die beiden starrten ihre Freundin und Kollegin verdutzt an. Das waren ja interessante Informationen, die die junge Irin da freimütig zur Verfügung stellte!
Tokio spöttelte: „Interessant! Herr Freak hat eine Schwester, kann sich an frühere Leben erinnern und hat angeblich ein gutes Herz! Wirklich interessant! Nur so nebenher zu deiner Information, Lia-san: Juna ist wegen ihm mehr als einmal fast ums Leben gekommen! Juna-chan, wie war das beim Atomkraftwerk? Oder im Wald? Oder in diesem Saal, wo er - von einem Raaja besessen - dich zweimal fast getötet hätte? Aber er hat ein gutes Herz! Wer's glaubt, wird selig!“ Lia funkelte ihn zornig an: „Du kennst ihn ja gar nicht wirklich! Wie willst du es wagen, ihn zu beurteilen!? Du hast ja keine Ahnung, was er aufgegeben hat, damit du heute hier so in Ruhe sitzen und dich sonnen kannst! Aber Ooshima-san weiß ja alles besser!“ Sie sprang wütend auf und stürmte in Richtung des Wäldchens davon.
Juna sah ihren Freund an: „Na super, da bist du jetzt aber sehr ins Fettnäpfchen getreten!“ und lief dann ihrer Freundin hinterher, nur um festzustellen, dass sie sie aus den Augen verloren hatte.
 
Also lief Juna auf gut Glück in diese Richtung, um sie wieder zu finden. Ihrem Instinkt folgend, lief sie weiter und hoffte, dass sie richtig lag.
Tatsächlich! Nach wenigen Minuten hatte sie ihre Freundin erreicht und rief: „Lia! Lia!“ Die Irin drehte sich um. Ihre Augen funkelten wütend. „Go dtuga an diabhal leis é! Welches Recht hat er, Chris so zu beurteilen? Keines! Er schließt von einem Ereignis auf seinen Charakter, ohne genauer hinzusehen! Aber so sind die Kopfblinden!“
„Beruhig dich, er hat es sicher nicht böse gemeint. Es ist nur so, dass er gewissermaßen von den Ereignissen, die sich vor einem Jahr quasi überstürzt haben, traumatisiert wurde und seither allem, was mit meiner Aufgabe zu tun hat, misstraut.“
„Was weiß er von Chris? Gar nichts! Mein Bruder hat ein Herz aus Gold, aber nur weil er fremdartig aussieht und nicht reden kann, denken alle Menschen, er hätte keine Gefühle und kein Herz!
Er war es, der mich immer höchstpersönlich in die Schule gebracht hat, weil er sich um mich sorgte! Sein Einfluss auf mich brachte mich früher in den Kreis, als alle gehofft hatten! Er hat seine Gesundheit, seine Heimat und seine Familie aufgegeben, um uns allen dies hier zu ermöglichen! Andernfalls wäre die Erde längst tot, von Raajas zugrundegerichtet! Aber nein, er ist ja ein Monster! Das ist es doch, was Tokio denkt, nicht wahr, Juna?“ Inzwischen rannen dem jungen Mädchen Tränen der Wut über die Wangen. Juna wusste wirklich nicht, was sie tun sollte. Sie versuchte, ihre Freundin zu trösten, nur die war ihren hilflosen Tröstungsversuchen nicht zugänglich. Sie wünschte zum ersten Mal Chris herbei, denn sie hatte gesehen, was er mit ein paar Worten und einer Berührung bei der temperamentvollen Irin vermochte. Aber hier musste sie es alleine schaffen. Also saß sie es gezwungenermaßen aus. Nach einer Weile hatte sich Lia wieder beruhigt. Juna fragte sie: „Geht's wieder? Die anderen werden uns schon suchen, es wird besser sein, wir gehen zurück.“ Lia nickte: „Du hast recht. Auf dem Rückweg werde ich mir das Gesicht noch waschen, damit ich nicht gar so schlimm aussehe.“
Die beiden Mädchen kehrten zu ihrem Sitzplatz zurück. Da es allmählich kühl wurde und die Stimmung nach dem Streit zwischen Lia und Tokio eher gedrückt war, brachen die vier bald auf und gingen nach Hause.
 
Im Laufe der nächsten beiden Schulwochen entfernten sich die Ereignisse jenes Tages für beide immer mehr und Alltagstrott machte sich breit. Wohl unterhielten sich die beiden Mädchen oft miteinander, trafen sich im Teehaus oder gingen spazieren, aber ansonsten hatte jede genug mit Hausübungen, Proben und Privatproblemen zu tun.
Die Abende verbrachten sie mit Übungen für Juna, der im Verlauf dieser Arbeit einiges über ihre Fähigkeiten als Avatar der Zeit lernte.
 
Die Woche zog sich wie ein Gummiring in die Länge. Der Unterricht war fad und monoton und wären nicht die Bandproben, Lia hätte mehr als einmal daran gedacht, „zufällig“ zu erkranken oder sonst irgendeinen Termin zu haben. Das Wetter war auch nicht gerade geeignet, ihre Stimmung zu heben: Entweder regnete es oder es war diesig und schwül. Freitags war immer die letzte Probe der Woche, die jeweils von 17.00 bis 18.00 stattfand.
Als sie nachher mit ihrer Gitarre aus der Schule kam, stürzte ihr zu ihrer Verblüffung Cindy entgegen und packte sie am Handgelenk. „Komm sofort mit, das ist ein Notfall!“
„Was? Wie? Hey, was soll das?“, wehrte sie sich. „Du kannst mich doch nicht einfach so mitzerren! Ich habe meine Gitarre in der Hand und einen schweren Rucksack im Kreuz! Warte, Cindy-san!“
„Tu nicht dumm herum, du kannst deine Sachen ohnehin im Van ablegen. Jetzt beeil dich!“
„Was zum Teufel ist hier los? Es muss doch einen Grund für deine Hektik geben!“
„Juna und du, ihr sollt uns helfen. Ein Raaja bedroht den Hafen und unsere Teams sind nie und nimmer alleine in der Lage, ihn zu bekämpfen!“
„Da suchst du Juna aber an der falschen Stelle! Sie geht ja gar nicht in diese Schule, Cindy-san!“
„Glaubst du, ich bin blöd? Wir haben Juna schon längst abgefangen, es wartet alles nur noch auf dich, weil Chris auf deiner Anwesenheit besteht!“
Endlich hatte Cindy Lia zum Van gezerrt. Die Irin ergab sich in ihr Schicksal, kletterte hinein und deponierte ihre Habe am Boden. Hinter ihr kletterte Cindy ebenfalls ins Auto, ließ sich auf den nächsten Sitzplatz plumpsen und schloss die Tür. Im selben Moment fuhr der Fahrer ruckartig an und fuhr, so schnell er konnte, stadtauswärts.
Lia runzelte die Stirn: „Meint ihr nicht, dass das die falsche Richtung ist?“
Cindy schüttelte den Kopf: „Nein, das passt schon, wir werden mit einem Helikopter hingebracht. Mit dem Auto kämen wir jetzt zur Stoßzeit viel zu spät und das wäre unter Umständen fatal!“
Nach ca. 15 Minuten waren sie an einem Sportplatz angekommen, wo ein Hubschrauber in Startposition stand. Kaum war das Auto zum Stehen gekommen, zerrte Cindy Lia heraus und bedeutete dem Fahrer, Lias Zeug mitzunehmen, während die beiden Mädchen losliefen.
Als sie fast beim Hubschrauber waren, begannen sich die Rotoren zu drehen und die Zugangstür öffnete sich. Ein groß gewachsener Schwarzer in Uniform nahm zuerst Lias Sachen in Empfang, dann reichte er ihr und Cindy eine Hand und half ihnen wortlos hinein. Hinter ihnen schloss er die Tür und gab dem Piloten das Zeichen zum Abheben.
 
„Na endlich! Wir dachten schon, ihr wärt in den Stau geraten! Da wären wir aber gewaltig in Schwierigkeiten geraten, weil der Raaja sicher nicht auf uns wartet!“, empfing sie Teresa erleichtert. Sie wirkte angespannt. „Was ist genau los, Teresa-san? Cindy schwafelte was von einem Raaja im Hafen?“, fragte Lia leicht verwirrt. Ein leises Geräusch ließ sie aufhorchen. Ihr Bruder.
Ein ziemlich großer Raaja kommt vom Meer aus direkt auf den Hafen zu. Wenn er sich weiter so schnell fortbewegt, ist er in wenigen Minuten dort. Juna soll Teresa und ihren Leuten helfen, ihn auszuschalten.' Lia sah Juna an. Die wirkte verängstigt, während ihr Bruder kampfbereit schien, obwohl er zusammengesunken und nach außen eher apathisch wirkend im Rollstuhl saß. Cindy stand besorgt neben ihm und versuchte, ihn dazu zu bringen, sich nicht zu überanstrengen.
„Na gut.“, sagte Lia. „Packen wir's an! Wie sind die Instruktionen, Teresa-san?“ - „Nun, Juna wird mit uns gehen und versuchen - und ich hoffe, sie schafft es - mithilfe einer Erdresonanzreaktion dem Raaja Einhalt zu gebieten. Misslingt die Aktion, ist der Hafen von Osaka in höchster Gefahr.“ - „Was ist mit Chris und mir?“ - „Ich nehme an, Chris wird früher oder später ohnehin eingreifen und wenn ich ihn richtig verstanden habe, will er, dass du vorerst nur zuschaust.“ Lia nickte: „Okay, solange es weiter nichts ist, bin ich dabei. Wie geht's dir, Juna-san?“
„Naja, es ging mir schon einmal besser, aber wir müssen es versuchen. Eine andere Wahl haben wir nicht.“ Lia legte ihrer Freundin ermutigend eine Hand auf die Schulter. „Du schaffst das schon. Denk einfach daran, was ich dir gesagt habe: Deine Angst darf dich nie beherrschen! Denk immer nur an deine Aufgabe und das, was hier und jetzt zu tun ist! Klar?“ - „Ja. Lia-san, du bist manchmal wie ein General.“ - „Das hat eine ténéresteis so an sich. Irgendwer muss ja der Chef sein, sonst geht es drunter und drüber im Kreis, nicht wahr?“
 
Insgeheim fühlte Juna sich erleichtert, dass ihre Freundin hier war und ihr Mut zusprach. Ihre Anweisungen waren klar und deutlich und sie konnte sich daran festhalten wie an einem Rettungsanker.
 
Erstens: Lass dich nie von deiner Angst beherrschen!
Zweitens: Denk nur an deine Aufgabe im Hier und Jetzt!
Drittens: Lass deine Energie frei fließen und dein Herz - deinen Instinkt - dir sagen, was du tun sollst!
 
Kurze Zeit später waren sie am Einsatzort angekommen und Juna und Teresa machten sich bereit, während Lia sich auf eine der Pritschen setzte und die Beine übereinander schlug. In alter Gewohnheit schlüpfte sie aus ihren Schuhen, so dass sie barfuss war. Cindy ließ sich ebenfalls auf einer der Pritschen nahe Chris nieder. Als sie zufällig aus dem Fenster sah, stellte sie fest, dass es in Strömen zu regnen begonnen hatte und teilte dies den anderen mit.
„Mist!“, schimpfte Teresa. „Das macht alles ja noch komplizierter!“ Juna sah ebenfalls alles andere als erfreut aus. Aber sie hatte keine Zeit mehr, sich zu beklagen, da der Helikopter bereits auf einer Plattform landete und der hünenhafte Schwarze von vorher die Luke öffnete. So blieb ihr nichts anderes über, als mit Teresa hinaus zu springen.
 
Juna sprang in den strömenden Regen und ließ sich von Teresa an einen guten Platz führen. Die Halbchinesin wünschte ihr viel Glück und ging zu ihrem Team, während Juna nun alleine im strömenden Regen stand und betete, dass all dies bald vorüber sein möge. Sie zweifelte, dass sie in der Lage sein würde, den Leuten von SEED beizustehen, aber sie wusste, dass sie um all der Menschen willen ihr bestes geben musste.
Dann kam der Raaja.
 
Anfangs lief alles gut, aber irgendwann kam der Punkt, wo sie nicht mehr wusste, wie sie weitermachen sollte. Als sie zu zweifeln begann, überkam sie panische Angst und sie konnte nichts tun, außer wie angewurzelt dastehen. Nach einer Weile schloss sie die Augen, sank auf die Knie und betete, dass ein Wunder geschähe, das sie alle rettete.
 
Im Hubschrauber war der Hauptbildschirm angeschaltet worden, so dass die Zurückgebliebenen den Kampf verfolgen konnten. Alle waren erstaunt, wie gut sich Juna schlug. Ein Zeichen, dass Lias Training bereits Wirkung zeigte. Umso größer war die Enttäuschung, als Juna sich wieder von ihrer Furcht übermannen ließ. Nach 5 Minuten murmelte Chris mehr zu sich selber als zu den anderen: Wie töricht sie ist! Sie lässt sich wieder von ihrer Angst besiegen! - Nun, es wird sich nicht vermeiden lassen!', löste seinen Astralkörper von seinem physischen Körper und schoss in Gestalt einer blauen, kleinen Kugel davon. Die beiden Mädchen bemerkten dies erst, als sein Körper erschlaffte, ein bläuliches Licht mit hoher Geschwindigkeit durch den Hubschrauber flog und sich durch die Wand davon machte. Cindy rief ihm vergebens nach: „Nicht, Chris! Du bist zu schwach dafür!“ Er war schon längst auf und davon. Daraufhin liefen beide zum Fenster, um zu sehen, was er tat.
 
Der junge TI-Telepath hatte sich inzwischen in eine helle Lichtgestalt, die seinen physischen Körper auf geisterhafte Art nachbildete, verwandelt. Er konzentrierte sich kurz und baute einen starken mentalen Schutzschild gegen den Raaja um die Plattform auf. Dieser würde zwar nur wenige Minuten halten, aber er hoffte, bis dahin Juna soweit gebracht zu haben, dass sie den Raaja aus dem Verkehr ziehen konnte.
Das wurmartige Untier tobte wütend hinter der Sperre, konnte sie aber nicht überwinden.
 
Derweil schwebte er zuerst zu Teresa und ihrem Team, die in etwas unglücklicher Position auf der Plattform standen und faktisch machtlos waren, da ihre stärkste Unterstützung, TI-2, ausgefallen war. Sie waren aber höchst erstaunt über TI-1s - Chris' - Eingreifen, da keiner damit gerechnet hatte.
Teresa fasste sich als erste: „Chris-san, kannst du die Barriere halten?“ Er zuckte die Schultern. Sie fragte weiter: „Wie viele Minuten schätzt du, kannst du sie halten?“ Er deutete „wenige Minuten.“, ein einfaches Handzeichen, das selbst Teresa verstand. „Ein paar Minuten? Das ist nicht lang, aber vielleicht kann Lia TI-2 rechtzeitig zur Räson bringen? Oder schaffst du es, den Raaja zu neutralisieren?“ Wieder ein Schulterzucken als Antwort und Teresa verfluchte ihre Kopfblindheit. Ein wenig telepathisches Talent wäre in Situationen wie diesen nützlich, um effektiv mit Chris kommunizieren zu können. Als sie wieder aufsah, schwebte der junge Mann in Richtung des Hubschraubers, hielt kurz inne, um sich mittels einer Handbewegung in eine Lichtkugel zu verwandeln und flog dann eilends in den Hubschrauber.
„Zieht euch hinter Juna zurück! Ich glaube, wir bekommen gleich Hilfe! Hier wird es zu gefährlich, ein Sturm kommt auf!“, befahl sie.
 
Teresas Idee war zwar eher von der verzweifelten Art und es war ihm nicht sehr angenehm, seine Schwester in solch einer gefährlichen Situation um Hilfe bitten zu müssen, aber verzweifelte Situationen verlangten verzweifelte Maßnahmen. Lias beruhigender Einfluss auf Juna war eindeutig und vielleicht vermochte sie, was ihm wohl kaum gelingen würde.
 
Lia saß im Hubschrauber wie auf glühenden Kohlen. Sie hatte die Ereignisse auf der Plattform im Meer verfolgt und ihr war klar, dass hier einiges schief gegangen war. Sie wünschte sich, etwas Sinnvolles tun zu können, während Cindy nervös auf den Monitor starrte und unverständliches Zeug murmelte.
Plötzlich flog der blaue Lichtball rasend schnell auf Lia zu und wirbelte um sie herum.
„Hey, lass das! Was soll das?“
Frag nicht lange, komm! - Cindy, sag dem Piloten, er soll Lia rauslassen!' Cindy fuhr herum, runzelte die Stirn, tat aber, wie ihr geheißen.
„Chris, was soll das? Ich dachte, ich soll nur zuschauen?“
Verzweifelte Situationen verlangen verzweifelte Maßnahmen, Schwesterchen. Ich kann den Schild nur wenige Minuten lang halten, dann ist meine Kraft erschöpft. Durchbricht der Raaja ihn dann, haben wir ihm nichts mehr entgegen zu setzen. Juna soll ihn aufhalten, aber ihre Angst hat sie fest im Griff.'
„Warum gehst du dann nicht zu ihr?“
Ich könnte ihr zwar kurzfristig helfen, aber meine Kraft geht für den Schild drauf. Bitte, ich brauch' dich!'
Das Mädchen zögerte einen Augenblick, dann nickte sie. „Dämliche Schuluniform! Jetzt wird sie auch noch nass und dreckig!“
 
Der Hubschrauber flog tief über die Plattform, so dass Lia raus springen konnte - in eine Wasserlacke. „Tja - der Rock ist nass und dreckig. Na da wird sich Ariyoshi-san sehr freuen!“ Die blaue Lichtkugel flog voran, Lia rannte, so schnell sie konnte, hinterher. Sie fühlte sich an Irlands Küste vor einem Sturm erinnert. Auch dort peitschten einen Wind und Regen und die Wellen waren eine Urgewalt für sich. Sie lief mit dem Wind, er und die Angst um Freundin und Bruder verliehen ihr Flügel.
 
Bei Teresas Team angekommen, drängte sie sich durch die Männer und Frauen durch und kniete neben ihrer Freundin nieder, während Chris sich in seine geisterhafte Gestalt zurückverwandelte und einige Meter über dem Boden schwebend die Szene überwachte und betete, dass Juna handlungsfähig war, bevor seine Kräfte endgültig versagten.
Lia holte aus und - klatsch, klatsch! - hatte sie Juna zwei Ohrfeigen verpasst. Das reichte, um ihre Freundin wieder in die Realität zurückzuholen.
„Was machst du denn hier? Ich dachte, du sollst im Hubschrauber bleiben!“
„Dachte ich auch, aber dein Zusammenbruch hat Chris veranlasst, mich herzubestellen!“
„Was? Wo ist er? Nicht mehr im Hubschrauber?“
„Jetzt ist keine Zeit für Erklärungen. Schau um dich! Er hat einen Schild aufgebaut, der aber nicht mehr lange halten wird und ihn viel Kraft kostet. Juna, du hast dich schon wieder von deiner Angst überwältigen lassen! Komm, wenn du nicht schnell handelst, hast du viele, viele Menschen in den sicheren Tod geschickt! Wer, wenn nicht du, soll diese Situation noch retten?“
„Aber… ich kann nicht! Wie soll ich dieses Monster beseitigen? Wenn ich mit Gandeeva schieße, dann macht er mir Vorwürfe, warum ich töte!“
„Was habe ich dir gestern über die Erdenergien erzählt? Benutze sie, synchronisiere dich mit ihnen, und du wirst Erfolg haben! Gandeeva ist nur das Mittel der letzten Wahl, wenn es wirklich nicht mehr anders geht!“
 
Juna riss sich zusammen. Wenn Lia angesichts der Gefahr ruhig bleiben und sogar böse werden konnte, dann konnte sie das auch! Sie entspannte sich und dachte nur an das Hier und Jetzt. Fast augenblicklich wurde sie eins mit den Erdenergien und machte sich bereit, den Raaja zu attackieren.
Im selben Moment brach schimmernd der Schild zusammen. Jetzt musste sie handeln, oder sie alle waren dem sicheren Tod geweiht.
 
Cindy fuhr zusammen, als der Schild zusammenbrach und sich im selben Augenblick Chris' Astralgestalt auflöste und er gezwungenermaßen in seinen Körper zurückkehrte. Zu schwach, sich aufrecht zu halten, sackte er völlig in sich zusammen. Diese intensive PSI-Arbeit hatte ihn all seiner Ressourcen beraubt und es würde Tage dauern, bis er wieder einigermaßen bei Kräften sein würde.
Cindy verstand beim besten Willen nicht, wie er sich so aufreiben konnte! Jeder solche Einsatz schwächte ihn immer mehr, und wenn das so weiter ging, war der endgültige Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit.
 
Ein Blick auf den Monitor sagte ihr, dass Lia Juna offenbar endlich zur Räson gebracht hatte und nun zurückwich, während Juna den Raaja mithilfe der lang erwarteten Resonanz mit der Erde auflöste. Die Erleichterung war im Raum greifbar, die Gefahr war abgewendet worden.
 
Zum Teufel mit ihm!