Weiss Kreuz Fan Fiction ❯ Drei Tage, drei Nächte ❯ Das Geschenk ( Chapter 1 )
A/N: Ich bin zurück, dieses Mal mit einer Weiß-Kreuz Geschichte! Glaubt es oder auch nicht, es war ein Song von Michael Jackson, der mich dazu inspiriert hat, oder vielmehr eine einfache Textzeile aus diesem betreffenden Lied.
Ich danke Caron für das Betalesen!
Ansonsten viel Spaß und happy C&Cing!
~ Was wir wissen ist ein Tropfen.
Was wir nicht wissen ist ein Ozean (Isaac Newton) ~
~~**~~
Das ungute Gefühl, welches ihn nun schon seit dem Aufstehen beschlich, wollte und wollte nicht weichen. Auch nicht oder besser besonders nicht, da er gerade eben von seinem "Vorgesetzten" gerufen worden war.
Nicht, dass das Aya in Panik versetzt hätte, nein. Es war vielmehr die Tatsache, dass sein eigentlicher Auftrag näher und näher rückte und er sich deswegen keinen Fehler leisten durfte. Und in Anbetracht der Bestände schien wohl etwas vorgefallen zu sein, denn ansonsten würde er sich nicht gerade auf den Weg zu Lasgo machen müssen.
Mit einem leisen Klicken schloss der rothaarige, schlanke Mann die Tür hinter sich und betrat den prunkvoll ausgestatteten Raum. Reichtum, wohin das Auge reichte.
Reichtum, mit dem Geld vieler Jugendlicher errichtet, vieler Abhängiger, die keinen anderen Ausweg mehr wussten, als sich mit Drogen in eine Fantasiewelt, eine BESSERE Welt zu stürzen. Aya hasste die Dealer, die den Fünfzehnjährigen auf der Straße LSD und Ecstasy verkauften, nur um für ihren eigenen Profit zu sorgen.
Und genau deswegen war er hier, hatte den nicht zu ungefährlichen Auftrag angenommen. Die Polizei schaffte es nicht, den Ring auszuheben, weil ihnen die Hände gebunden waren. Doch er, er konnte es. Er musste sich an keine gesetzlichen Vorgaben halten, er musste sich nicht dem Einfluss und der Macht des Hintermannes beugen.
In drei Tagen würde es schließlich soweit sein, dieser eine Hintermann würde eintreffen. Bisher kannte ihn Aya noch nicht, was sich jedoch - so hoffte er - noch vor Ablauf dieser Frist ändern würde. Und dennoch....tragisch war es nicht. In 72 Stunden würde es ein Blutbad geben und keiner der hier anwesenden Klein- oder Großdealer würde es überleben.
Keiner.
Mit wie vielen Toten war der kostbare Teppich aus Persien wohl bezahlt worden, fragte er sich, als er langsam auf seinen Vorgesetzten zuging und schließlich vor dem Schreibtisch aus Elfenbein stehenblieb.
"Was gibt es?", mimte er den arroganten, hochnäsigen Mittelsmann, in dessen Rolle er sich eingeschlichen hatte. Ein leichtes, schauriges Lächeln antwortete ihm, als der ältere Mann aufstand und um besagtes Möbelstück herum auf ihn zuging, ihm vertrauensvoll die Hand auf die Schulter legte und den schmalen Knochen freundschaftlich drückte.
"Ich habe ein Geschenk für dich, Mann mit dem Mädchennamen.....", lächelte der ergraute, stark gebaute Mittvierziger und deutete auf die kleine Tür an seiner rechten Seite, die, wie Aya wusste, zu einer größeren Abstellkammer gehörte.
Das Unwohlsein im Körper des Weiß steigerte sich mehr und mehr. Die Tatsache, dass Lasgo ein Geschenk - welcher Art auch immer - für ihn bereit hielt, verunsicherte ihn mehr denn je. Natürlich war es ihm in den fünf Wochen, in denen er hier war, gelungen, das Vertrauen des Mannes vor ihm zu erlangen, nicht alleine schon wegen seiner von Kritiker gefälschten Vergangenheit als grausamer Auftragskiller und Drogendealer.
Sich der Ironie dessen wohl bewusst, schritt er nun eben dieser verhängnisvollen Tür entgegen, legte eine Hand auf den mahagonifarbenen Türknauf...
"Ich hoffe, es gefällt dir....ich dachte schon immer, dass du auf dieser Art von Gespiele fixiert bist....", hauchte die eiskalte Stimme Lasgos ihm Schauer des Entsetzens über den Rücken, ließ ihn für ein paar Augenblicke versteinern, bevor der rothaarige Mann mit einem entschlossenen Ruck die Tür öffnete und auf sein Geschenk starrte.
Vollkommen losgelöst von jeglichen Zeitraumgefühl einfach nur starrte. Da waren Handschellen, Stoffstücke, da war Haut, da waren Verletzungen, da war Blut.
Für einen Moment konnte Aya nichts von all dem in einen sinnvollen Zusammenhang bringen, nichts. Dann jedoch wurde es ihm mit einem Male klar....
All die kurzen Fragmente fügten sich zu einem Bild zusammen.
Einem Bild, das Aya den Hals zuschnürte, das drohte, sein Frühstück erneut hochkommen zu lassen. Ein Mann, vollkommen nackt, an Hand und Fußgelenken gefesselt, geknebelt, die Augen mit einem verdreckten, weißen Tuch verbunden, an einigen Stellen Blut und...sonstiges....
Er lag auf der Seite, die Beine an die Brust hochgezogen.
Aya stützte sich am Türpfosten ab, um den Schwindel, welcher ihn nun beschlich, gerecht zu werden und ihn zu bekämpfen. Geschenk? SEIN Geschenk? Was...?
Er hörte, wie im Hintergrund seicht ein Gebläse arbeitete, ein Knattern.....so komisch...so surreal. Und der Geruch...dieser abstoßende, bitter süßliche Geruch......
"Sieh sie dir an, diese vollendete Form....diese Muskeln, die weiche Haut....das Blut auf ihr....der Samen auf ihr....gerade eben missbraucht....ein herrlicher Anblick, meinst du nicht auch?", schwärmte Lasgo hinter ihm mit säuselnder Stimme, hauchte ihm die Worte wie nichts ins Ohr. Als wenn es hier um eine Sache ging....nicht um einen Menschen, der gerade.....
OH MEIN GOTT!
Aya musste mit allen Mitteln darum kämpfen, sich nicht auf der Stelle vor lauter Ekel zu übergeben. Ekel und Hass, das war es, was in seinem Körper miteinander rang, ihn dazu bringen wollte, sich auf den Mann hinter sich zu stürzen und ihn mit bloßen Händen zu erwürgen....
"Und...was soll ich mit ihm?", krächzte er anstelle dessen vollkommen heiser, seinen Blick nicht von der zusammengekauerten Gestalt nehmen könnend.
Er konnte sich denken, was nun kam, war allerdings nicht im Geringsten auf die Worte vorbereitet, die nun die schmalen Lippen des älteren Mannes verließen.
"Du sollst ihn dir nehmen, ihn dir Untertan machen. Ich schenke ihn dir für drei Tage, Mann mit dem Mädchennamen. Drei - Volle -Tage. Mach mit ihm, was du möchtest, nur töte ihn nicht. Denn nach Ablauf der Frist gehört er wieder mir....ich schenke ihn dir als Belohnung für die gute Arbeit, die du geleistet hast."
Belohnung? Gute Arbeit? Die Worte tanzten nur so in Ayas Kopf, erschwerten um einiges sein logisches Denken. Er musste ablehnen! Konnte nicht annehmen! Das ging nicht, das ging nicht, das....
Das konnte auch eine Falle sein.
Mit abrupt wiedergewonnener Klarheit war sich der rothaarige Assassin bewusst, dass er möglicherweise gar nicht die Option hatte, abzulehnen. Wenn es ein Test war, wenn Lasgo ihn jetzt noch auf die Probe stellte, seine Grausamkeit auf die Probe stellte und er plötzlich dazu bereit war, ein Menschenleben zu verschonen, würde ihm seine Unglaubwürdigkeit den Hals und die Mission kosten.
Aya atmete zitternd ein und wieder aus....
Nein, soweit durfte es nicht kommen.
"Ich danke dir für dieses wirklich großzügige Geschenk, Lasgo!", grinste er hinterhältig, eine mühsame Fassade, deren Aufrechterhaltung auf Seidenfäden gebettet war, die jeden Moment durchzureißen drohten. "Würde es dir etwas ausmachen, ihn in mein Apartment bringen zu lassen? Ich habe nämlich noch etwas zu tun, wenn du verstehst."
Die Züge des älteren Mannes erhellten sich, als wenn er gerade ein wertvolles Geschenk erhalten, nicht, als wenn er einen unschuldigen Mann weiterer Folter und erneutem Missbrauch ausgesetzt hätte.
Nein, Aya würde dem nicht nachkommen. Nie.
Er wagte es nicht, noch einen Blick auf den hilflosen Mann zu seinen Füßen zu werfen, wagte nicht, noch länger dem eindeutig störenden Geräusch der Lüftung zu lauschen, dem Gestank, welcher sich ihm aufdrängte, noch weiter Stand zu halten. Er konnte es nicht...
"Aber natürlich werde ich das, mein Freund", entgegnete Lasgo und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schultern, um sich schließlich wegzudrehen und zwei seiner Männer zu rufen, die dem ihnen aufgetragenen Befehl ohne Widerstand Folge leisteten.
Und Aya....Aya bedankte sich noch einmal knapp für das Geschenk und verließ diesen abscheulichen Raum, verließ damit die Gewissheit, dass, wenn er in ein oder zwei Stunden in sein Reich zurückkommen würde, dieser Mann auf seinem Bett läge, bereit, noch einmal.....noch einmal so etwas Schreckliches durchzumachen.
Und er selbst mit dem Wissen, dass er diesem Menschen gegenübertreten müsste.
Wie groß konnte ein Schuldgefühl sein?
~~**~~
Es wunderte ihn nicht, dass seine Hand zitterte, als er den Schlüssel im Schloss seiner Apartmenttür mit einem Ruck umdrehte. Aya hatte den Moment lange genug herausgezögert, hatte es geschafft, drei Stunden anderen, scheinbar wichtigeren Aufgaben nachzugehen und sich somit einem kleinen Teil der drei Tage zu entledigen, die ihm nun mit dem bedauernswerten Mann blieben.
Es war Nachmittag, fünf Uhr. Aya spürte die Wärme der nun schon fast untergehenden Sonne in seinem Rücken, sah den rötlichen Schimmer, welchen sie auf seine Tür warf. Er musste dadurch, musste die Schwelle übertreten, auch wenn ihm gleichzeitig eine Stimme in seinem Inneren zu verstehen gab, dass er wohl nicht bedacht hatte, wie dieser Mann bereits in seiner Wohnung auch ohne seine Anwesenheit gelitten hatte.
Er wartet darauf, dass sich ihm der Nächste aufzwingt, seit Stunden. Seine Angst ist im Laufe der Minuten immer und immer größer geworden, die Panik hat sich von Moment zu Moment stärker und rasender in ihm ausgebreitet.
Aya zuckte ob dieser grausamen Vision unmerklich zusammen und verbannte jegliche Gedanken daran in die tiefsten Abgründe seiner Seele.
Um nun endlich sein kleines, aber luxuriöses Apartment zu betreten, das so still um ihn herum lag. Kein Laut, kein Stöhnen, kein Geräusch der Angst oder Panik.
Nichts.
Die Tür in seinem Rücken fiel mit einem leisen Klack ins Schloss, blockte nun auch die rötlichen Sonnenstrahlen, die sich kurz den Weg in seinen dunklen Flur gebahnt hatten. Es gab kein zurück mehr, sein Fluchtweg war verschlossen. Er konnte seiner Beute nicht entfliehen.
Aya fragte sich, ob man in der Stille des Raumes sein Herz schlagen zu hören vermochte, ob der kraftvolle, ja beinahe ängstliche Schlag auch dem Mann zugetragen wurde. Vielleicht schlugen sie ja auch im Gleichtakt, beide zu schnell, zu vehement.
Er steuerte direkt auf sein Schlafzimmer zu, dem Raum, wo er sein Geschenk vermutete und blieb schließlich erstarrt stehen. Ja, da war er....genau, wie er ihn aus der kleinen Kammer in Erinnerung hatte. Die Knie fast bis an die Brust hochgezogen, alles unverändert...
Ich muss ihn von seinen Fesseln befreien, zumindest das..., schoss es Aya durch den Kopf und er driftete nach links ab, in seine kleine Küche, wo er am ehesten den Zettel vermutete, der ihn zum Schlüssel führte. Doch er irrte. Er befand sich im Wohnzimmer, auf dem kristallenen Tisch, daneben eine kleine Phiole mit durchsichtiger Substanz, die Aya mit einiger Mühe als Gleitgel identifizierte.
Bei dem Gedanken, mit welcher Absicht sie dort positioniert wurde, überkam den rothaarigen Mann ein Schauer des Entsetzens. Und dennoch folgte er nun den Hinweisen auf dem kleinen Zettel, suchte in seinem Mahagoniregal nach dem kleinen, unscheinbaren Gegenstand, der sich nach kurzen Druck auf die richtige Stelle geschlagen gab und seinem neuen Besitzer in die Hand fiel.
Damit gewappnet betrat Aya erneut das kleine Schlafzimmer und tastete sich vorsichtig an den scheinbar bewusstlosen Mann heran. Kein Anzeichen von Leben oder Bewusstsein. Nichts, was Aya dabei half zu erkennen, wie er nun mit seinem Gegenüber umgehen sollte.
Nicht, dass es ihm anders leichter gefallen wäre.
Ayas Blick glitt über die entblößte Form vor ihm. Anscheinend wurde nicht gerade zart mit dem Wesen umgesprungen. Überall auf seinem Körper fanden sich Abschürfungen und deutliche Prellungen, die sich nach und nach in den verschiedensten Blautönen herauskristallisieren würde.
Dazu gesellten sich an einigen, tieferen Stellen getrocknete Blutspuren und....
Der rothaarige Mann weigerte sich, dieses Wort auch nur denken. Den Beweis, dass ihm weitaus schlimmere Dinge als oberflächliche Hautabschürfungen angetan worden waren.
Der Blick wanderte weiter zu den Handgelenken, den geröteten und gereizten Stellen und Aya umklammerte den kleinen Schlüssel in seiner Hand. Handle!, herrschte ihn seine eigene, innere und harsche Stimme an. Erlöse ihn endlich!
Und Aya tat es. Mit einer unsicheren Bewegung umfasste er die schlanken Handgelenke und drehte den Schlüssel im Schloss nach links.
Mit einem leisen Knacken gaben die Eisenbänder nach und entließen die gemarterten Handgelenke aus ihrem Griff. Die gleiche Prozedur wiederholte er mit den Fußgelenken und schließlich dem Stück Stoff, welches anscheinend ohne jegliche Rücksicht zwischen die Lippen des Mannes gezwungen worden war und ihm dabei die Innenseiten der Mundwinkel aufgerissen hatte....ein blutiges Tuch mehr auf dem kleinen Haufen an Zeichen der Demütigung.
Zum Schluss entfernte Aya noch das Stück Stoff, welches die Augen des Mannes verbarg, nicht im Geringsten überrascht, dass sie geschlossen blieben. Mit einer Geste des Feingefühls, deren er sich nicht bewusst war, geschweige denn deren er sich für fähig gehalten hatte, strich er seinem Gegenüber einige der verklebten, blutigen Haarsträhnen aus der Stirn und bedeckte die ruhige Gestalt mit seiner Patchworkdecke.
Sollte der Mann aufwachen wann er wollte. Es würde besser sein. Für sie Beide. Schließlich hatten sie noch ganze drei Tage. Was danach geschah, mochte Aya sich nicht einmal ausmalen, er hoffte ganz einfach, dass er diesen Ring sprengen konnte, bevor noch irgendjemand anderes Hand an diesen armen, geschundenen Menschen legen konnte.
Ganz im Gegensatz zu seinem normalen, reservierten Ich überzog Aya nun schon zum wiederholten Mal ein ungemeiner Stich aus Mitleid gemischt mit unterbewusstem Beschützerinstinkt.
Beschützerinstinkt, den er ansonsten nur für seine Schwester verspürte. Es war das Einzige, was er sich mittlerweile noch erlaubte. Alle anderen Emotionen konnte, durfte er nicht zulassen, ansonsten würde er nicht mehr töten, würde sich nicht im Namen der Gerechtigkeit an den Menschenrechten vergehen können.
Die Figur neben ihm regte sich plötzlich, begann, leise Geräusche des Unwohlseins von sich zu geben und brachte Aya somit in die Realität zurück. Für einen Moment starrte er auf die Gestalt vor sich, dann beugte er sich leicht herab und wollte dem Mann beruhigend über das mittlerweile von inneren Dämonen zerfurchte Gesicht streichen, was jedoch abrupt durch einen hochschießenden Arm abgeblockt wurde, der direkt auf Aya zielte.
Den der rothaarige Mann jedoch mit Leichtigkeit abblockte und sanft festhielt, worauf die unruhige Gestalt mit ganzer Kraft versuchte, sich loszureißen und von ihm wegzukommen, sich schwarze Augen öffneten, für einen Moment in totaler Panik, absolutem Entsetzen, dann jedoch ziellos umherirrten und anscheinend etwas suchten, was sie nicht fanden.
Und Aya....Aya wohnte diesem Spektakel unbewegt bei, konnte sich auch nicht rühren, als die weitaufgerissenen, dunklen Augen ihn nun trafen, ihn direkt durchbohrten, aber nicht ansahen.
Ein plötzlicher Stich durchfuhr seinen Körper, seinen gesamten Geist, als sich der Blick des Mannes vor ihm umwandelte.
Anstelle des Entsetzens und der Furcht trat ein ruhiger, fast schon repressiver Ausdruck in seine Züge, ein kalter, unnahbarer Moment, der Aya Schauer des Unwohlseins den Rücke heruntertrieb. Wieso kam ihm dieser Mann nur so bekannt vor? Wieso hatte er das Gefühl, diese Züge schon einmal gesehen zu haben?
Mit einer langsamen, fast schon sanften Bewegung ließ der rothaarige Assassin den Arm seines Gegenübers los, konnte jedoch weiterhin den Blick nicht von diesen unfokussierten, dunklen Augen nehmen, die ihn nicht losließen.
Woher kannte er den Mann? WOHER?
"Was wird das?", durchbrach eine schmerzdurchsetzte, aber dennoch eisige Stimme seine Gedanken und ließ Aya zusammenzucken gleichwie zurückfahren. Er...er wusste, woher...
Der rothaarige Mann wich erst einen Schritt zurück, dann zwei. Ja. Aya war sich sicher, wer es war. Vollkommen sicher. Das Aussehen, natürlich, die Stimme, das war er. Crawford. Wie ein Fluch, eine dunkle Beschwörung lastete dessen schicksalhafte Bedeutung auf Aya und seinen Gedanken.
Er hatte sich den Teufel in sein Bett geholt.
Unfähig, dem Mann vor sich Antwort auf die harsche Frage zu geben, rasten die Gedanken in seinem Kopf kreuz und quer, ließen ihn taumeln vor Emotionen, welche ihn nun überkamen.
Schock wie auch pervertierte Befriedigung rangen in ihm um den Vorrang in seiner Seele.
Das Mitleid, welches er bis vor kurzem noch für den missbrauchten Menschen vor sich gehegt hatte, schien auf einmal verschwunden. Das Mitleid, was er sonst nur seiner Schwester schenkte, hatte er...hatte er kurzfristig....
Eine Welle der Übelkeit überkam ihn ob dieser grausamen Ironie.
Doch dann stahl sich ein anderer Gedanke in seinen Kopf. Was war, wenn das Ganze eine Falle war, dazu ausgelegt, seine wahren Absichten zu hinterfragen und aufzudecken und ihn zu töten, noch bevor er die Möglichkeit hatte, den Ring auszuheben?
Aber nein. Das konnte nicht sein. Sie hätten sich nicht die Mühe gemacht, ihm diesen Mann - Crawford - zu schenken, um seine wahre Identität aufzudecken. Das Orakel kannte ihn, kannte seine Tätigkeit für Kritiker. Er hätte ihn auch so verraten können, ohne dass solch eine Scharade gespielt werden musste.
Zudem sahen die Verletzungen mehr als real aus...
Aya starrte auf seine Hand, auf die Finger, mit denen er seinem Feind beruhigend über Stirn gestrichen hatte, eine Geste, die er noch nicht einmal für Youji erübrigte, wenn dieser von Alpträumen geschüttelt wurde. War diese Hand nun beschmutzt? Verflucht? Verdorben?
"Wer...?", schaffte es Crawford erneut, seine Gedanken auf sich selbst zu richten. Wer? Du willst wissen, wer ich bin?, antwortete Aya in Gedanken. Ich bin der, der dich töten wird. Der, dessen Leben du zerstört hast.
Es war schwer für den rothaarigen Mann, den Blick von seinem Gegenüber zu nehmen, um zum Schrank zu flüchten und zwei Kleidungsstücke herauszufischen, diese dem Älteren dann auf die Decke zu werfen, doch er schaffte es. So groß sein Hass auch war, so wenig konnte er die deutlichen Anzeichen des Missbrauchs auf seinem Gegenspieler sehen.
"Zieh dich an", befahl er heiser und wandte sich dann um, mit einigen, unsicheren Schritten in seine Küche wankend.
Wieso erkennt er mich nicht?, schoss es Aya plötzlich durch den Kopf, als sich der Schock legte und klareren, zusammenhängenderen Gedanken Platz machte. Er trägt kein Anzeichen, dass er weiß, wer ich bin. Woran liegt das?
Konnte es sein, dass das Orakel durch sein Trauma nicht in der Lage war, sich zu erinnern? Dass all seine Taten verschwunden waren wie nichts? Dass auf seinem Bett ein Mann saß, der wie neugeboren unschuldig auf die Welt gekommen war? Unwissend, rein, unbefleckt?
Das Geräusch nackter Füße auf Parkettfußboden ließ ihn erkennen, dass Crawford sich anscheinend dazu entschlossen hatte, die Kleidungsstücke anzulegen und sich ihm vorsichtig zu nähern. In der Tat....als Aya sich umdrehte, stand der Amerikaner im Türrahmen, die muskulöse und dennoch schlanke Gestalt gehüllt in einer weichen, ausladenden Stoffhose, die sich scheinbar ein wenig enger um Crawfords Gestalt schmiegte als um seine eigene und einem weitausladenden Sweatshirt.
Die dunklen Augen ohne festen Fixpunkt leicht zusammengekniffen, als wenn sie versuchten, etwas genauer zu identifizieren. Oder jemanden....
Aya erwiderte den Blick dieser schwarzen Seen und wusste mit einem Male, warum das Orakel ihn nicht erkannt hatte. Jedes Mal, wenn sie sich im Kampf getroffen hatten, trug der Amerikaner eine leicht getönte Brille. Natürlich kannte Aya nicht deren Stärke, aber was war, wenn Crawford ohne Brille fast blind war?
Vor allen Dingen: Was machte es letztendlich aus? Was kümmerte er sich um solch Nebensächlichkeiten? Sollte er sich nicht endlich für seine Schwester rächen, für seine Familie, seine Mutter, seinen Vater, beide tot, unter der Erde, kalt, leblos.....
Aya umklammerte mit verzweifelter Mühe den großen Küchentisch, als ihn Rachegedanke nach Rachegedanke heimsuchte. Als in ihm Trauer, Hass und Wut nach Vorherrschaft rangen. Sein Atem ging stoßweise, sein Puls rasend, er drohte beinahe, das Bewusstsein zu verlieren. Er musste hier raus, er konnte nicht länger in der Gegenwart des Schwarz Assassins bleiben.
Durch das Pulsieren in seinen Ohren hörte er, wie sich leise Schritte entfernten, den Flur entlang huschten und Aya wusste plötzlich, dass er mit aller Macht verhindern musste, dass Crawford aus seinem Apartment entkam....er wusste zwar noch nicht, wer er selbst war, allerdings könnte es knapp werden, sollte es zu einer Gegenüberstellung kommen...
Ganz im Gegensatz zu seiner momentanen Panik hastete er dem Mann nach und befahl scharf:
"Du wirst hierbleiben!"
Irgendetwas.....irgendetwas in seiner Stimme schien ihn verraten zu haben, denn der schwarzhaarige Amerikaner drehte sich nun langsam, wie unter Schock um und betrachtete für einen Moment blind und doch seltsam fixierend Ayas Gesicht, bis sich schließlich die dunklen Augen weiteten, schließlich wieder zusammenzogen zu einem spöttelnden Lächeln.
"Sieh an...", flüsterte die dunkle Stimme leise, immer noch mit immanentem Schmerz, "...der Weiß Junge.....Fujimiya Junior....wie komme ich denn zu der Ehre?"
Anstelle seinem Drang, dem Orakel das plötzlich so hochmütig erscheinende Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen, nachzugeben, beschloss Aya nun, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und es seinem Gegenspieler mit gleicher Münze heimzuzahlen. Gut, er konnte und durfte den Amerikaner noch nicht umbringen, doch das ließ sich aufschieben. So günstig die Gelegenheit auch war, sie würde wieder kommen.
Aya schritt gemächlich auf seinen Erzfeind zu und lächelte, obwohl er wusste, dass Crawford es nicht sehen konnte. Was er wusste, war, dass der Amerikaner es HÖREN würde, das boshafte Lächeln, mit dem er seine wohl bedachten Worte unterlegte:
"Lasgo.....", er ließ den Namen mit einem sinnlichen Rollen auf seiner Zunge zergehen. "....hat dich mir geschenkt.....für drei Tage.....ich kann mit dir machen, was ich will, solange ich dich nicht töte. Und nach Ablauf dieser Frist...."
Er rückte noch einen Schritt näher heran.
"....gehörst du wieder ihm, Orakel....."
Das kurzfristige Entsetzen, welches sich klar und deutlich in dem ebenmäßigen Gesicht wiederspiegelte, war Aya Belohnung genug. Es war für ihn ein Zeichen, dass sein Gegenüber nicht so unverwundbar war, wie er dachte. Doch sobald er es gewonnen hatte...
...war es auch schon wieder verloren.
"Macht dich das scharf?", wisperte Crawford bedächtig, mit seinem spöttischen Grinsen. "Törnt dich das an, ja? Willst du dich auch mal versuchen?"
Aya erwiderte diese offene Provokation mit einem höhnischen Lächeln. "Ich genieße nichts, was schon verdorben ist....was innen verrottet.....", antwortete er und drehte sich um, sicheren Schrittes in sein Wohnzimmer gehend. Er wusste, dass das getroffen hatte. "Ach ja....ich würde dir nicht raten zu fliehen...es wimmelt hier von Lasgos Männern, du kämest nicht weit. Und du weißt sicherlich, was dann passieren würde...."
~~**~~
Die meiste Zeit des Abends war es ruhig geblieben. Nach dem ersten Höhepunkt in der Eskalation zwischen ihnen beiden war Aya im Wohnzimmer geblieben, während Crawford sich zurück in das Schlafzimmer begeben hatte.
Der rothaarige Mann wusste, dass sein Feind nicht fliehen würde, nicht, wenn er drei Tage Aufschub vor dem Unvermeidlichen hatte. Und so sehr wie es ihm auch widerstrebte, dass er seinem ewigen Dorn im Auge Zuflucht gewähren musste, so sehr war das von Nöten. Für seinen eigenen Schutz.
Aya gähnte und legte das Buch, in dem er nun schon seit drei Stunden vergeblich versuchte zu lesen, zur Seite. Er wollte schlafen, ja. Aber nicht an der Seite Crawfords in seinem eigenen Bett. Also blieb ihm nur die Möglichkeit, sich auf seine Couch zu postieren, denn obgleich aller Antipathien jagte ihm die Erinnerung an das, was er heute morgen gesehen hatte, Schauer des Entsetzens über den Rücken.
Wie hilflos hatte Crawford doch ausgesehen, wie jung, als er in nichts gehüllt vor ihm lag, in der dunklen Abstellkammer. Allem beraubt, seiner Würde, seiner Freiheit, seiner Selbstentscheidung ähnelte er in keiner Weise mehr dem eiskalten Assassin, sondern einem armen Wesen, das mehr Schutz brauchte, als jeder bereit war, ihm zu geben.
Sollte er sich ausruhen, sollte er seinen Schmerzen Zeit lassen, sich zu beruhigen. Sollte er ihm aus dem Weg gehen.
Aya stand auf und streckte sich ausgiebig. Gut, dann würde er die Gastfreundschaft der Couch okkupieren, welche ihm so herrlich entgegenstrahlte.
Und dennoch. Er musste noch einmal in das Schlafzimmer, wenn er nicht nackt oder in seinen jetzigen Sachen schlafen wollte. Seufzend drehte sich der rothaarige Assassin um und bewegte sich anmutig in Richtung Schlafzimmer, wo er die geschlossene Tür für einen Moment anstarrte, sie schließlich öffnete und einen schon beinahe unsicheren Blick hineinwarf.
Die kleine Nachttischlampe brannte, eine altmodisch anmutende Leuchtquelle, die ihr Licht im sanften Kegel in einem Radius verbreitete, der gerade groß genug war, um einen winzigen Abschnitt des Zimmers zu beleuchten.
Der Teil, der sich fast unmittelbar an das Kopfende des Bettes anschloss. Und mit ihm gleichzeitig auch die Person, welche die Schlafstätte für sich beansprucht hatte, nun auf der Seite lag, den linken Arm achtlos über sein Gesicht geworfen, sodass Aya der Gesichtsausdruck des Schwarz verborgen blieb.
Irgendetwas in Aya bedauerte das. Er wollte das Leid sehen, welches dem Mann zugefügt worden war. Wollte sehen, dass Crawford litt, um seine eigene Rache zu finden. Sollte der andere Mann auch Schmerz empfinden, sollte er auch wissen, was Verzweiflung, was Irrsinn, was Trauer war.
Und doch gab es da noch etwas, was sich so etwas nicht wünschte. Ein kleiner Teil in Ayas Persönlichkeit, der sich jetzt, anhand der leisen, schon beinahe verzweifelten Geräusche, die Crawford im Schlaf von sich gab, regte und ihm sagte, dass es nicht rechtens war, was dem Assassin zugefügt wurde, dass es kein Mensch verdient hatte, so behandelt zu werden.
Es war der Teil von Ayas Seele, der langsam verkümmerte.
Er schlich leise zum Sessel, auf dem er seine Schlafsachen abgelegt hatte und ergriff sie mit Schwung und entgültiger Geste. Nein, er würde sich von nichts aus der Bahn bringen lassen. Von gar nichts. Aya langte nach der kleinen Lampe, schaltete sie aus und war für einen Moment erstaunt, dass dennoch so viel Licht in das Zimmer fiel, bis ihm bewusst wurde, dass es der Mond war, der seine weichen Schatten- und Lichtspiele auf den deckenverhüllten Körper vor ihm warf.
Es war Vollmond, schon wieder. Aya konnte kaum glauben, dass es schon einen Monat her war, seitdem er das bläuliche Licht so strahlend hell gesehen, dass er es bewusst wahrgenommen hatte. Doch nun...ja. Nun zog es ihn vollkommen in seinen Bann, was nicht zuletzt durch eine plötzliche Bewegung Crawfords arrangiert wurde, die das Gesicht des Mannes freigab.
So unheimlich jung...., dachte Aya überrascht, als er die feinen Züge studierte. So unheimlich verletzbar, als er den Schmerz erkannte, welcher den altbekannten Spott ersetzte. Schlaf offenbart das wahre Gesicht eines Menschen, so sagt man.
Ob es auch in diesem Fall stimmen mochte?
Das ebenmäßige Gesicht des älteren Mannes verzog sich zu einer Grimasse von Angst gemischt mit Schmerz, die Aya für einen Augenblick wie angewurzelt dort stehen ließ. In diesem Moment verschwendete er keinen Gedanken daran, dass das hier sein Todfeind war, den er vor sich hatte. Er betrachtete und analysierte alleine die Form des Amerikaners, die schlanke und dennoch muskulöse Kurve der Schulter, die einzelnen Abschürfungen im Gesicht Crawfords, welche im Mondlicht dunkelblau erschienen, die sonst so makellos weiße Haut, weich getönt in Farbe und Schatten.
Nichts störte seine Betrachtungen außer die leisen Laute seines Geschenks und das Rauschen der uralten Bäume, welches durch das leicht geöffnete Fenster drang.
Aya ließ sich lautlos in den Sessel nieder. Nein....er würde noch nicht gehen. Noch würde er hier bleiben und den schlafenden Mann betrachten, den er hasste und töten würde, sobald er die Gelegenheit dazu hatte.
Anscheinend wusste auch Crawford, dass ihm im Moment keine Gefahr drohte, denn ansonsten hätte er sich nicht schutzlos in die Hände desjenigen begeben, dessen Familie er auf dem Gewissen hatte.
Den kontrovers-abstrakten Frieden dieses Moments konnte ihm niemand nehmen und er war auch nicht bereit, ihn gegen seinen Hass einzutauschen.
~~**~~